Zwangsverheiratung auch in Deutschland

Von Ali Al-Nasani

Gegen ihren Willen

Zwangsverheiratung wird in weiten Teilen der Welt praktiziert – auch in Deutschland werden Frauen und Mädchen mit Männern verheiratet, die sie weder kennen noch lieben.

Als Serap Cileli zwölf Jahre alt war, wurde sie von ihren Eltern einem ihr völlig fremden Mann zur Frau versprochen. Damals wohnte die Familie in Neustadt an der Weinstraße. Das Mädchen widersetzte sich der Verlobung, doch erst ein Selbstmordversuch brachte ihre Eltern zum Einlenken. Drei Jahre später arrangierten ihre Eltern wieder eine Ehe für Serap und brachten ihre Tochter zur Heirat in die Türkei. Erst sieben Jahre später, inzwischen war sie Mutter zweier Kinder geworden, fand sie die Kraft, die Scheidung von dem Mann einzuleiten, den sie weder liebte, noch vor ihrer Hochzeit je gesehen hatte.

Der Artikel 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantiert, dass eine Ehe lediglich im freien und vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen wird. Für viele Frauen aus Migrantenfamilien ist das nur Theorie. Auch in Deutschland werden Mädchen gegen ihren Willen verheiratet. Zwangsverheiratung ist eine Form von Gewalt gegen Mädchen und Frauen.

Gesicherte Zahlen über Zwangsverheiratung in Deutschland gibt es nicht. Die Berliner Senatsverwaltung hat nach einer Umfrage im Jahr 2002 rund 230 Fälle von Zwangsverheiratung dokumentiert. In Nordrhein-Westfalen werden die Fälle nicht statistisch erfasst, so die lapidare Auskunft der Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer der Zwangsverheiratungen um ein Vielfaches höher liegt als die vorhandenen Schätzungen, da die betroffenen Mädchen aus Unkenntnis über ihre Rechte oder aus Scham lieber schweigen, als in der Öffentlichkeit über ihr Schicksal zu berichten. Viele betroffene Frauen erachten ihr Schicksal als normal, da es ihren Müttern auch nicht anders erging.

Der Übergang von einer arrangierten Ehe, bei der die Eltern zwar Braut und Bräutigam aussuchen, die Betroffenen aber zustimmen oder ablehnen können, zur Zwangsverheiratung ist vor allem dann gegeben, wenn sich Minderjährige nicht dem Druck der Familie widersetzen können.

Für die betroffenen Mädchen bedeutet Zwangsverheiratung immer einen Konflikt im Spannungsfeld von Autonomie und Abhängigkeit. Einerseits werden sie zu einer Heirat gezwungen, andererseits können sie nicht die Familie verlassen, die das als Verrat empfinden würde. Sollten sie sich der Heirat widersetzen, wird ihnen entweder mit dem eigenen Tod oder mit dem Selbstmord der Mutter gedroht. In einer solchen Situation steigt der psychische Druck auf die Mädchen, von denen einige Selbstmordversuche unternehmen.

Die Zwangsheirat wird selten mit der Religion begründet. Der Menschenrechtsorganisation terre des femmes liegen Fälle sowohl aus islamischen Familien vor, als auch Fälle aus dem hinduistischen Sri Lanka und dem christlichen Griechenland. Viel eher als Religion werden Tradition und Kultur zur Begründung herangezogen. Oft spielt die Herkunft eine Rolle, da innerhalb der Dorfgemeinschaft geheiratet werden muss. Die Zwangsverheiratung als traditionelles Bindungsmuster soll auch die finanzielle Versorgung der Mädchen sichern.

Aber nicht immer spielt Geld eine wichtige Rolle. Auch Jungfräulichkeit vor der Ehe wird als so hoher Wert angesehen, dass die Mädchen möglichst früh verheiratet werden, um diese Jungfräulichkeit zu gewährleisten. Vor allem wenn ein Mädchen auf die „schiefe Bahn“ abzurutschen droht, wird die Heirat als Disziplinierungsmaßnahme eingesetzt.

Bisweilen wird die Zwangsverheiratung als Mittel zum Zweck gesehen, dann nämlich, wenn mit der Ehe die Möglichkeit der Einreise nach Deutschland gegeben ist, oder wenn so ein Aufenthaltsstatus gesichert werden kann. Die Rechtslage in Deutschland schützt die Frauen nur unzureichend. Strafbar sind lediglich die Begleitumstände wie Vergewaltigung oder Körperverletzung, die Zwangsverheiratung an sich wird aber nicht sanktioniert. Ein besonderes Problem tritt dann auf, wenn die Frau ihren Aufenthaltsstatus vom Mann ableitet. Ausländische EhepartnerInnen haben in den ersten zwei Jahren nach ihrer Einreise kein eigenes Aufenthaltsrecht. Oftmals kann eine Frau die Ehe nicht auflösen, ohne in die Heimat zurückgeschickt zu werden. Dort ist sie als geschiedene Frau auch bei ihrer eigenen Familie nicht gut gelitten. Sollten die Betroffenen ausreisen, verlieren sie spätestens sechs Monate nach der Ausreise ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland.

Bisher sind die Kampagnen gegen Zwangsverheiratung in der Politik auf taube Ohren gestoßen. Zu sehr wird der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit gefürchtet, wenn man soziale Praktiken von Migranten kritisiert.

Aufklärung ist auf vielen Ebenen notwendig. Dabei sind die Schulen der einzige Ort, an dem die Mädchen erreicht werden können. Fremdsprachige Medien sind ein ebenso wichtiger Ort der Aufklärung, ebenso das Internet. Aber auch Gynäkologen müssen dafür sensibilisiert werden, dass körperliche Beschwerden evtl. auf eine psychische Ursache wie Zwangsverheiratung zurückzuführen sind. Zu oft wird Zwangsverheiratung auch von Pädagogen als kulturelle Gegebenheit akzeptiert. Dabei sind es nicht nur deutsche Pädagogen, die sich mit Kritik daran zurückhalten. Auch ausländische Pädagogen reklamieren bisweilen für sich und ihre community eine kulturelle Eigenheit, die die Zwangsverheiratung mit einschließt.

Nicht allen Frauen gelingt es, sich wie Serap Cileli aus der Zwangsheirat zu lösen. Ihre Erfahrungen hat sie sowohl in einem Buch als auch in einem Dokumentarfilm und auf ihrer Homepage öffentlich gemacht, um betroffenen Frauen Zuspruch und Beistand zu leisten.

Ali Al-Nasani

  • Der Autor ist Sprecher der Algerien-Koordinationsgruppe der deutschen ai-Sektion.

Auf ihrer Website (http://www.cileli-serap.de/) bietet Serap Cileli umfangreiche Informationen zu Zwangsverheiratungen an. Neben Links zu Frauenhäusern und Beratungsstellen hat sie Buch- und Filmtipps zum Thema zusammengestellt, sowie aktuelle Informationen über ihre eigenen Aktionen.