ai Jahresbericht 2005
TÜRKEI
Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2004
Amtliche Bezeichnung: Republik Türkei
Staatsoberhaupt: Ahmet Necdet Sezer
Regierungschef: Recep Tayyip Erdoan
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Statut des Internationalen Strafgerichtshofs: nicht ratifiziert
UN-Frauenrechtskonvention und Zusatzprotokoll: ratifiziert
Die Regierung unternahm weitere Reformschritte auf dem Gebiet des Rechts und in anderen Bereichen, um die türkischen Gesetze an internationale Standards anzupassen. Die Durchsetzung der Reformvorhaben blieb aber Stückwerk. Zudem war die Wahrnehmung grundlegender Rechte durch eine Vielzahl von restriktiven Gesetzen nach wie vor eingeschränkt. Trotz positiver Änderungen von Bestimmungen über Festnahmen und Inhaftierungen kam es erneut zu Misshandlungen und Folterungen durch die Sicherheitskräfte. Der Einsatz exzessiver Gewalt gegenüber Demonstranten war nach wie vor ein ernstes Problem. Die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen wurden nur selten vor Gericht zur Rechenschaft gezogen. Personen, die ihr Demonstrationsrecht in friedlicher Weise auszuüben versuchten oder sich zu bestimmten Themen äußerten, mussten weiterhin mit Strafverfolgung oder anderen Sanktionen rechnen. Dringend notwendige Schritte, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern und die Täter zu bestrafen, blieben aus.
InhaltsverzeichnisHintergrundinformationen
Die Regierung setzte ihre Verfassungs- und Rechtsreformen fort, um die Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union (EU) zu erfüllen. Der Europäische Rat gab am 17. Dezember bekannt, dass er im Oktober 2005 in Verhandlungen mit der Türkei eintreten werde.
Im Januar unterzeichnete die Türkei das Protokoll Nr. 13 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie im April das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das die Abschaffung der Todesstrafe zum Ziel hat.
Im Juni erklärte der Volkskongress Kurdistans (Kongra Gel), die Nachfolgeorganisation der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die einseitig ausgerufene Waffenruhe für beendet. In der zweiten Jahreshälfte trafen wiederholt Meldungen ein über Zusammenstöße zwischen Angehörigen dieser bewaffneten Oppositionsgruppe und den türkischen Streit- und Sicherheitskräften im Südosten des Landes.
Im Laufe des Berichtsjahres wurden mindestens 33 Menschen, unter ihnen 13 Minderjährige, durch Landminen oder zurückgelassene Munition getötet und viele weitere verwundet.
Gesetzesreformen
Im Jahr 2004 wurden zahlreiche bemerkenswerte Neuerungen eingeführt. So hat man die Staatssicherheitsgerichte abgeschafft und durch Sonderstrafgerichte ersetzt. Internationalem Recht wurde Vorrang vor nationalem Recht eingeräumt und die Todesstrafe aus der Verfassung und dem Strafgesetzbuch gestrichen. Militärangehörige mussten ihre Posten im Türkischen Hochschulrat (YÖK) und dem Hohen Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK), der Medienaufsichtsbehörde des Landes, räumen.
Zu den Gesetzesnovellen gehörten ein neues Pressegesetz, ein neues Vereinsgesetz, eine neue Strafprozessordnung und ein neues Strafgesetzbuch. Alle diese Gesetze enthielten positive Neuerungen und waren großenteils weniger restriktiv als ihre Vorgänger. So wurden zum Beispiel aus dem Strafgesetzbuch viele Paragraphen entfernt, die geschlechtsspezifische Diskriminierung beinhaltet hatten. Außerdem wurde eine Definition der Folter eingeführt, die sich stärker an internationalen Rechtsnormen orientierte. Viele der neuen Gesetze enthielten aber weiterhin Bestimmungen ihrer Vorgänger, auf deren Grundlage fundamentale Rechte in unzulässiger Weise eingeschränkt worden waren. Hinzu kam, dass die Umsetzung der gesetzlichen Neuerungen nicht einheitlich erfolgte und zum Teil offenbar auf den Widerstand staatlicher Funktionsträger stieß.
Es wurde ferner ein Entschädigungsgesetz im Zusammenhang mit Terrorismus und dem Kampf gegen Terrorismus verabschiedet, dessen erklärtes Ziel es war, an Personen finanzielle Wiedergutmachung zu leisten, die in den 1990er Jahren während des bewaffneten Konflikts zwischen der Regierung und der PKK zwangsumgesiedelt worden waren. Menschenrechtsgruppen beanstandeten, dass die in dem Gesetz vorgesehenen Entschädigungssummen zu gering seien, und äußerten die Vermutung, dass mit dem neuen Gesetz Eingaben an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhindert werden sollen.
Folterungen und Misshandlungen
Neu eingeführte Haftbestimmungen, welche inhaftierten Personen einen verbesserten Schutz boten, führten offenbar zu einem Rückgang bestimmter Folterpraktiken, darunter das Aufhängen an den Armen und Schläge auf die Fußsohlen (falaka). Die neuen Bestimmungen wurden jedoch nicht in vollem Umfang umgesetzt, sodass Folterungen und Misshandlungen im Gewahrsam der Polizei und der Gendarmerie nach wie vor Anlass zu großer Sorge gaben. So wurden nach vorliegenden Meldungen Gefangene weiterhin mit Schlägen traktiert, Elektroschocks unterworfen, nackt ausgezogen und mit dem Tode bedroht.
Verbreitet wurde auch von Foltermethoden berichtet, die keine bleibenden körperlichen Spuren hinterlassen. Dazu zählten Schlafentzug und die Verweigerung von Wasser und Nahrung. Außerdem sollen Häftlinge gezwungen worden sein, über lange Zeiträume hinweg stehend in unbequemen Körperpositionen zu verharren. Das Innenministerium hatte alle diese Praktiken in einem Rundschreiben verboten. Dem Vernehmen nach wurden Personen auch weiterhin bei der Festnahme, in Polizeifahrzeugen oder während des Verhörs an abgelegenen Orten mit Schlägen traktiert.
Derya Aksakal wurde am 3. März Berichten zufolge in einen Kleinbus gezerrt, als sie in Istanbul zu Fuß unterwegs war. Man verband ihr nach eigenen Angaben die Augen, und sie wurde von drei maskierten Männern zu ihren politischen Aktivitäten befragt. Einen von ihnen konnte Derya Aksakal dennoch als einen ihr bekannten Polizeibeamten identifizieren. Die Männer sollen Zigaretten auf ihrem Körper ausgedrückt, ihr mit Vergewaltigung gedroht und sie einer Scheinhinrichtung unterzogen haben, bevor sie die Frau nach zwei Stunden wieder auf freien Fuß setzten.
Aydın Ay wurde am 27. Oktober wegen Diebstahlverdachts zur Polizeistation von Carşı in Trabzon gebracht. Nach seinen Schilderungen hat man ihn dort nackt ausgezogen, mit Elektroschocks gepeinigt und seine Hoden gequetscht, um ihn zu zwingen, Dokumente unbekannten Inhalts zu unterschreiben.
Ein großer Teil der Beschwerden über Misshandlungen galten dem exzessiven Gewalteinsatz der Sicherheitskräfte bei Demonstrationen. Ungeachtet eines Rundschreibens des Innenministeriums, das die Beamten anwies, keine unverhältnismäßige Gewalt anzuwenden, trafen weiterhin Berichte ein, denen zufolge Teilnehmer an Protestkundgebungen sogar noch nach der Festnahme geschlagen oder mit Pfefferspray besprüht worden sind.
Straflosigkeit
Es fehlte an wirksamen Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung der Haftbestimmungen und zur Untersuchung von wiederkehrenden Arten der Misshandlung von Gefangenen durch die Sicherheitskräfte. Die staatlichen Menschenrechtsgremien auf Provinz- und Regionalebene gewährleisteten keine effektiven Ermittlungen zur Aufklärung von Beschwerden über Folterungen und Misshandlungen und wiesen auch nicht die erforderliche Unparteilichkeit und Unabhängigkeit auf.
Untersuchungen von Folter- und Misshandlungsvorwürfen durch die Strafverfolgungsbehörden waren selten angemessen und endeten häufig mit der Entscheidung, kein Strafverfahren zu eröffnen. Die mangelnde Gründlichkeit solcher Untersuchungen ließ Zweifel an deren Unparteilichkeit aufkommen. Die Entscheidungen gründeten sich zudem oftmals auf medizinische Untersuchungen der Häftlinge, welche gleichfalls unzureichend waren und häufig trotz ausdrücklichen Verbots im Beisein von Angehörigen der Sicherheitskräfte vorgenommen wurden. In der Regel ließen Ermittlungen und Gerichtsverfahren auch eine Überprüfung der Befehlsstrukturen vermissen, um Verantwortlichkeiten auszumachen. Beschuldigte Behördenvertreter wurden oft für die Dauer der Ermittlungen nicht vom Dienst suspendiert.
Verfahren gegen der Folter oder Misshandlung verdächtigte Personen zogen sich vielfach derart in die Länge, dass in einigen Fällen Strafverfolgungsmaßnahmen wegen Überschreitung der Verjährungsfrist eingestellt werden mussten.
Am 10. November hielt das Berufungsgericht das Urteil gegen einen Polizeibeamten wegen seiner Beteiligung am Tod des Gewerkschafters Süleyman Yeter aufrecht, der im März 1999 an den Folgen der Folter im Polizeigewahrsam gestorben war. Die gegen den Polizisten verhängte zehnjährige Gefängnisstrafe wurde wegen »guter Führung« auf vier Jahre und zwei Monate verkürzt, von denen er lediglich 20 Monate verbüßen muss. Das Verfahren gegen neun weitere Polizisten, die ebenfalls beschuldigt wurden, im Jahr 1997 Süleyman Yeter sowie 14 weitere Häftlinge gefoltert zu haben, musste mit Ablauf der Verjährungsfrist am 11. November eingestellt werden.
Am 2. Dezember wurde der Prozess gegen vier Polizisten, die sich wegen sexueller und anderweitiger Folterungen von zwei Schülerinnen im März 1999 in Iskendurun verantworten mussten, zum inzwischen 30. Mal verschoben, obwohl medizinische Gutachten die Foltervorwürfe erhärteten. Eines der beiden Mädchen, Fatma Deniz Polattaş, blieb wegen Mitgliedschaft in der PKK auf der Grundlage von Aussagen, die unter Folterungen erzwungen worden sein sollen, in Haft.
Personen, die wegen exzessiver Gewaltanwendung bei Festnahmen und Demonstrationen Beschwerde gegen die Polizei einreichten, wurden anschließend häufig des »Widerstands gegen einen Behördenvertreter durch körperlichen Einsatz, Gewalt oder Drohungen« beziehungsweise des Verstoßes gegen das Gesetz Nr. 2911 über Versammlungen und Demonstrationen angeklagt.
Bei einer Demonstration am 12. April in Ankara festgenommene Studenten wurden dem Vernehmen nach von Angehörigen der Bereitschaftspolizei misshandelt, die übermäßige Gewalt einsetzten, um die Teilnehmer auseinander zu treiben und in Haft zu nehmen. Auf der Polizeiwache und im Gerichtsgebäude sollen die Studenten weiter misshandelt worden sein. Der mit dem Fall betraute Vorsitzende Richter ignorierte die Misshandlungsvorwürfe der Studenten, erhob gegen sie Anklage wegen Verstoßes gegen das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz und ordnete ihre vorläufige Freilassung an.
Tötungen unter umstrittenen Umständen
Die Sicherheitskräfte erschossen im Berichtszeitraum nach vorliegenden Meldungen bis zu 21 Zivilisten, viele von ihnen in den südöstlichen und östlichen Provinzen des Landes. In der Mehrzahl der Fälle sollen die Opfer nach Darstellung der Sicherheitskräfte dem Befehl stehen zu bleiben nicht nachgekommen sein.
Şiyar Perinçek, ein vermeintliches Mitglied von Kongra Gel, wurde am 28. Mai in der Stadt Adana von einem Polizeibeamten in Zivil angeschossen, nachdem man ihn von seinem Motorrad heruntergestoßen hatte. Augenzeugen gaben an, der Polizist habe ohne Vorwarnung das Feuer auf den unbewaffneten Mann eröffnet. Şiyar Perinçek erlag zwei Tage später im Krankenhaus seinen Schussverletzungen. Der Fahrer des Motorrads, Nurettin Baçşı, wurde festgenommen und dem Vernehmen nach gefoltert. Am 4. Oktober mussten sich drei Polizisten wegen der »Misshandlung« von Nurettin Baçşı vor Gericht verantworten, ein weiterer wurde der »unabsichtlichen Tötung« von Şiyar Perinçek angeklagt. Laut Anklageschrift soll er erst geschossen haben, nachdem Şiyar Perinçek auf ihn gefeuert hatte. Das Verfahren war bei Jahresende noch nicht abgeschlossen.
Am 21. November erschossen Polizisten Mehmet Kaymaz und seinen zwölfjährigen Sohn Uğur vor ihrem Haus in Kızıltepe. Die Behörden behaupteten, bei den Getöteten habe es sich um bewaffnete Mitglieder von Kongra Gel gehandelt, die auf die Polizisten geschossen und diese gezwungen hätten, das Feuer zu erwidern. Zeugen berichteten hingegen, dass die beiden extralegal hingerichtet worden seien und man ihnen die Waffen nachträglich untergeschoben habe.
Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Menschenrechtsverteidiger
Die strafrechtliche Verfolgung von Personen wegen friedlicher Meinungsäußerung hielt an, wenngleich das Berufungsgericht und einige Gerichte unterer Instanzen in wegweisenden Urteilen das Recht auf freie Meinungsäußerung bekräftigten. Gegen einzelne Personen wurden wegen ihrer Überzeugungen und gewaltfreien Aktivitäten strafrechtliche Ermittlungen und Verfahren eingeleitet. Derartige Strafverfolgungsmaßnahmen stellten eine Form der Schikane seitens der Justizbehörden dar. Sie führten nur selten zur Verhängung von Freiheitsstrafen, aber häufig zu hohen Geldbußen. Die rechtliche Grundlage der Verfahren bildeten verschiedene Paragraphen des türkischen Strafgesetzbuches, zum Beispiel solche, die die »Beleidigung von Staatsorganen« oder die »Anstiftung zu Zwietracht und Hass« unter Strafe stellen. Es wurden aber auch Prozesse auf der Grundlage einer Reihe anderer Gesetze angestrengt, darunter das Anti-Terror-Gesetz, das Gesetz über Versammlungen und Demonstrationen sowie Rechtsvorschriften zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder über Vereinigungen und Stiftungen. Politiker wurden Ziel strafrechtlicher Verfolgung, weil sie im Wahlkampf andere Sprachen als Türkisch verwendet hatten. Des Weiteren wurden unter Berufung auf das alte und das neue Pressegesetz hohe Geldstrafen gegen Zeitungsredaktionen und Journalisten verhängt.
Der Journalist Hakan Albayrak kam im November nach Verbüßen von sechs Monaten einer 15-monatigen Haftstrafe in Ankara aus dem Gefängnis frei. Die Strafe hatte er erhalten, weil er sich zu der Begräbniszeremonie für den Gründer der Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, geäußert hatte.
Am 30. Dezember setzte ein Gericht in Ankara Anhörungen im Verfahren gegen den Schriftsteller Fikret Başkaya fort, dem die »Beleidigung oder Verhöhnung des türkischen Staates« in seinem Buch »Gegen den Strom« zur Last gelegt wurde. Ihm drohten im Falle eines Schuldspruchs bis zu drei Jahre Freiheitsentzug.
Die genannten Gesetze wurden außerdem gegen Menschenrechtsverteidiger angewandt, unter ihnen Rechtsanwälte, Ärzte, Umweltschützer und Gewerkschafter. Sie mussten trotz der zunehmenden Bereitschaft aufseiten der Regierung, Vertreter der Zivilgesellschaft anzuhören, weiterhin mit Repressionen rechnen. Das Ausmaß der Drangsalierung war von Provinz zu Provinz unterschiedlich. In einigen Fällen wurden Personen daran gehindert, Unterschriftenaktionen zu organisieren, Presseverlautbarungen zu verbreiten oder Kundgebungen abzuhalten. Die UN-Sonderbeauftragte für die Lage von Menschenrechtsverteidigern besuchte das Land im Oktober. Sie verwies mit Sorge auf die hohe Zahl von Strafverfahren und empfahl die Überprüfung aller anhängigen Verfahren gegen Menschenrechtler. Personen, die sich im Bereich der Menschenrechte engagierten, mussten zudem mit arbeitsrechtlichen Sanktionen wie Entlassung, Suspendierung oder Versetzung an eine von ihrem Heimatort weit entfernte Arbeitsstelle rechnen.
Im Juni begann ein Verfahren, mit dem man ein Verbot der größten Gewerkschaft des Landes, der Lehrergewerkschaft Eğitim Sen, erreichen wollte. Begründet wurde dies mit einer Passage in den Statuten der Gewerkschaft, wonach der Verband »das Recht von Personen auf Unterricht in ihrer Muttersprache« verteidigen werde, was nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gegen die Verfassung verstößt. Den Freispruch der Lehrergewerkschaft vom September hob das Berufungsgericht im November wieder auf.
Die beiden Professoren Şebnem Korur Fincancı und Sermet Koç, Leiterin beziehungsweise Leiter der beiden rechtsmedizinischen Fakultäten der Istanbuler Universitätskliniken, wurden im Juni ihrer Posten enthoben, weil sie gegenüber der Presse den Mangel an Unabhängigkeit des Rechtsmedizinischen Instituts bemängelt hatten. ebnem Korur Fincancı war bereits in der Vergangenheit von ihrer Arbeit am Institut vorübergehend entbunden worden, weil sie in einem Bericht die Schlussfolgerung vertreten hatte, dass eine Person in der Haft an den Folgen der Folter gestorben war.
Freilassung gewaltloser politischer Gefangener
Am 21. April bestätigte das Staatssicherheitsgericht Nr. 1 in Ankara die 15-jährigen Haftstrafen gegen Hatip Dicle, Orhan Doğan, Selim Sadak und Leyla Zana, vier ehemalige Parlamentsabgeordnete der Demokratischen Partei (DEP). Die Neuverhandlung war aufgrund einer geänderten Gesetzeslage anberaumt worden, wonach Verfahren wieder aufgerollt werden können, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Verstoß des ursprünglichen Urteils gegen die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten festgestellt hat. Anfang Juni forderte der Chefankläger des Berufungsgerichts jedoch die Aufhebung des Gerichtsurteils und wies darauf hin, dass die Neuverhandlung ebenfalls gegen internationale Standards für einen fairen Prozess verstoßen habe. Er beantragte die vorläufige Haftentlassung der vier Angeklagten bis zum Abschluss des Verfahrens. Die ehemaligen Parlamentarier kamen daraufhin am 9. Juni aus dem Ulucanlar-Gefängnis in Ankara frei. Der neue Prozess begann am 21. Oktober vor dem Sonderstrafgericht Nr. 11 in Ankara.
Gewalt gegen Frauen
Die Menschenrechte Hunderttausender von Frauen in der Türkei wurden weiterhin durch Gewalt in der Familie verletzt. So trafen Berichte unter anderem über Schläge, Vergewaltigung, Mord und erzwungenen Selbstmord ein. Behördenvertreter unterließen es, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Frauen vor diesen Verbrechen zu schützen. Die Ermittlungen in Fällen familiärer Gewalt waren oft unzureichend, und die Täter wurden nur selten vor Gericht gestellt. Ferner existierten nur äußerst wenige Zufluchtsstätten für von häuslicher Gewalt bedrohte Frauen.
Infolge der konzertierten Anstrengungen von Frauenorganisationen wurden viele Bestimmungen, die geschlechtsspezifische Diskriminierung beinhaltet hatten, aus dem neuen Strafgesetzbuch gestrichen. Zu den positiven neuen Maßnahmen gehörte die Abschaffung der Regelung, wonach die Strafe gegen einen verurteilten Vergewaltiger reduziert, ausgesetzt oder aufgehoben werden konnte, wenn er einwilligte, das Opfer zu heiraten. Auch wurde der Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe explizit in das Strafgesetzbuch aufgenommen sowie anhaltende und systematische Gewalt in der Familie als Folter definiert.
Berichte und Missionen von amnesty international
Berichte
Turkey: From paper to practice – making change real, Memorandum to the Turkish Prime Minister on the occasion of the visit to Turkey of a delegation led by Irene Khan, Amnesty International’s Secretary General (ai-Index: EUR 44/ 001/2004)
Turkey: Restrictive laws, arbitrary application – the pressure on human rights defenders (ai-Index: EUR 44/ 002/2004)
Turkey: Women confronting family violence (ai-Index: EUR 44/013/2004)
Europe and Central Asia – Summary of Amnesty International’s concerns in the region, January–June 2004: Turkey (ai-Index: EUR 01/005/2004)
Missionen
Vertreter von amnesty international statteten der Türkei im Februar, Juni und Dezember Besuche ab. Im Februar traf die Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation mit führenden Regierungsvertretern, darunter auch Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan, zusammen.