Amnesty International
Pressemeldung, 18.07.2016
Türkei nach dem Putsch: Menschenrechte ernsthaft in Gefahr
Die Menschenrechte in der Türkei sind nach einem blutigen Putschversuch am Freitag, den 15. Juli, bei dem mindestens 208 Personen starben und fast 8.000 Personen festgenommen wurden, ernsthaft in Gefahr. Mehrere Regierungsangehörige haben sich für eine Wiedereinführung der Todesstrafe für die am Putschversuch Beteiligten ausgesprochen. Amnesty International geht derzeit Berichten nach, denen zufolge Inhaftierte in Ankara und Istanbul eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen erlitten haben, darunter Misshandlungen in Gewahrsam und die Verweigerung des Zugangs zu einem Rechtsbeistand.
“Allein die Zahl der Festnahmen und Suspendierungen seit Freitag ist alarmierend, und wir beobachten die Lage sehr genau. Der Putschversuch hat ein erschreckendes Maß an Gewalt freigesetzt, und die Personen, die für rechtswidrige Tötungen und andere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, müssen juristisch zur Verantwortung gezogen werden, aber nicht, indem man kritische Stimmen unterdrückt und mit der Wiedereinführung der Todesstrafe droht”, so John Dalhuisen, Programmleiter für Europa und Zentralasien von Amnesty International.
“Wir fordern die türkischen Behörden auf, sich bei der Durchführung der erforderlichen Ermittlungen zu mäßigen und die Rechtsstaatlichkeit zu respektieren. Allen Inhaftierten muss ein faires Verfahren gewährleistet werden und diejenigen, gegen die keine konkrete Beweise für die Beteiligung an einer Straftat vorliegen, müssen freigelassen werden. Ein Rückschritt in Sachen Menschenrechte ist das Letzte, was die Türkei jetzt brauchen kann.”
Genaue Zahlen liegen nicht vor, doch den türkischen Behörden zufolge wurden in der Nacht vom Freitag in Istanbul und Ankara 208 Personen getötet und 1.400 verletzt, als ein Teil des Militärs bei dem Versuch, die Macht zu übernehmen, Fernsehsender stürmte und das Parlament sowie Gebäude des Präsidenten beschoss. Zu den Getöteten gehören auch 24 Personen, die von den Behörden als “Putschisten” bezeichnet werden. Einige von ihnen sollen gelyncht worden sein, obwohl sie unbewaffnet waren und sich ergeben wollten. Auch Zivilisten wurden getötet, als sie nach einem Protestaufruf Präsident Tayyip Erdoğans auf die Straße gingen, um Panzern und Hubschraubern entgegenzutreten.
In den Tagen nach dem Umsturzversuch hat die türkische Regierung umfassende “Säuberungen” innerhalb der Armee, der Justiz und der zivilen Abteilungen des Innenministeriums vorgenommen: 7.543 “Putschisten” wurden festgenommen und 318 von ihnen in Untersuchungshaft genommen. 7.000 Angehörige der Polizei wurden vom Dienst suspendiert, und mit 2.700 Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten wurde fast ein Fünftel der Justizangehörigen aus ihren Ämtern entlassen. 450 Justizangehörige wurden inhaftiert.
Äußerungen seitens des Präsidenten und Regierungsmitgliedern hinsichtlich einer möglichen rückwirkenden Wiedereinführung der Todesstrafe für alle, die an dem Putschversuch beteiligt waren, geben großen Anlass zur Sorge. Dies würde sowohl gegen Menschenrechtskonventionen verstoßen, zu deren Vertragsstaaten die Türkei gehört, als auch gegen Schutzbestimmungen in der türkischen Verfassung.
“Vor dem Hintergrund zunehmender Intoleranz der türkischen Regierung gegenüber friedlicher Kritik sind die Massenfestnahmen und -suspendierungen höchst besorgniserregend. Es besteht die Gefahr einer Ausweitung dieses scharfen Vorgehens auf Journalistinnen und Journalisten sowie Aktivistinnen und Aktivisten der Zivilgesellschaft. In den letzten Monaten sind türkische Behörden häufig gezielt gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten, Journalistinnen und Journalisten sowie andere Personen, die Kritik an Regierungsmitgliedern oder der Regierungspolitik geübt haben, vorgegangen, und zahlreiche Medien wurden unter staatliche Aufsicht gestellt”, sagte John Dalhuisen.
“Für die türkische Regierung ist es wichtiger denn je, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit zu respektieren, anders, als es die für den Putsch Verantwortlichen getan haben.”