amnesty international fürchtet weiterhin um die Sicherheit von drei Mitgliedern des Menschenrechtsvereins „Insan Haklari Dernegi“ (IHD), die Morddrohungen erhalten haben. Eren Keskin ist die Leiterin der IHD-Zweigstelle in Istanbul. Dogan Genç ist Koordinator der IHD-Aktivitäten in der Region Marmara, in der Istanbul liegt.
Eren Keskin, Saban Dayanan und Dogan Genç erhielten am 19. April 2005 sowohl an ihre Privatadressen als auch an ihre Büros gerichtete Drohbriefe, die von einer ultra-nationalistischen Gruppe namens „Türk Intikam Tugayi“ (Türkische Rachebrigaden) stammen (s. UA 94/05). Diese Gruppe bekannte sich zu dem 1998 verübten Anschlag auf den damaligen IHD-Vorsitzenden Akin Birdal, der dabei schwer verletzt wurde.
Die Drohungen stehen offensichtlich im Zusammenhang mit einer Welle ultra-nationalistischer Aktivitäten in der Türkei, die aufkam, nachdem eine Gruppe von Kindern am 21. März 2005 in der im Südosten des Landes gelegenen Stadt Mersin eine türkische Flagge verbrennen wollte. Dieser Vorfall löste im gesamten Land Demonstrationen aus, in denen Unterstützung für die Nationalflagge zum Ausdruck gebracht wurde. Der Militärchef der Türkei bezeichnete die Kinder als „Staatsbürger nur auf dem Papier“. Am 6. April 2005 sollen in der Stadt Trabzon fünf Personen, die Flugblätter verteilt hatten, in denen Einzelhaft und Isolation in den Gefängnissen des Landes kritisiert wurden, beinahe von einer Menschenmenge gelyncht worden sein, weil man davon ausging, sie wollten eine türkische Fahne verbrennen. Im gesamten Land ist es seitdem immer wieder zu ähnlichen Vorfällen gekommen.
In den Drohbriefen bezog sich die Gruppe „Türk Intikam Tugayi“ auf das Flaggenverbrennen und erklärte, dass jegliche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um die türkische Nationalflagge zu schützen, „… ein Symbol der mit Blut geschriebenen Geschichte des Landes …“. Die Gruppe nahm außerdem Bezug auf den Anschlag auf Akin Birdal vom Mai 1998, bei dem dieser in der IHD-Zentrale von Ankara von zwei Mitgliedern der Gruppe durch Schüsse lebensgefährlich verletzt worden war. In den Briefen hieß es, die Empfänger würden nicht so viel Glück wie er haben und überleben.
Die Rechtsanwältin Eren Keskin erhält seit Jahren immer wieder Morddrohungen. Diese nahmen noch zu, als sie den Anführer der bewaffneten Oppositionsgruppe „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK), Abdullah Öcalan, vor Gericht vertrat (s. UA 92/01). Sie ist zudem mehrmals wegen ihres Menschenrechtsengagements strafrechtlich verfolgt worden. Erst am 5. April 2005 verurteilte sie ein Gericht der Stadt Tunceli wegen einer im November 2002 auf einer Konferenz in der Stadt gehaltenen Rede zum Thema „Die Rolle der Frau in der Gesellschaft“ zu fünf Monaten Haft. In dieser Rede hatte die Rechtsanwältin erklärt, dass ihrer Meinung nach in der Türkei systematisch Folter angewandt werde und dass alle Frauen in der Haft zu irgendeinem Zeitpunkt sexuellem Missbrauch ausgesetzt seien. Die Strafe gegen Eren Keskin wurde gemäß Paragraph 159 des türkischen Strafgesetzbuches verfügt wegen „Beleidigung und Diffamierung des türkischen Staates und seiner Sicherheitskräfte“. Die Haftstrafe wurde später in eine Geldstrafe über 1.050 Türkische Lira (ca. 600 Euro) umgewandelt. Saban Dayanan wurde im November 2001 durch Messerstiche verletzt, als ein mit einem Messer und einer Pistole bewaffneter Mann in das IHD-Büro in Istanbul eingedrungen war und gedroht hatte, alle Anwesenden zu töten (s. UA 272/01).
Der Menschenrechtsverein IHD
Der Menschenrechtsverein IHD ist die größte Menschenrechtsorganisation der Türkei. Der IHD verurteilt offen Menschenrechtsverletzungen und –verstöße sowohl der Sicherheitskräfte als auch der bewaffneten Oppositionsgruppen. Die Büros des Menschenrechtsvereins werden häufig verwüstet, geschlossen oder Zielscheibe von Bombenanschlägen. IHD-Vertreter werden häufig bedroht, festgenommen, verfolgt, gefoltert, verschleppt und getötet. Seit 1991 sind mindestens zwölf seiner Mitarbeiter getötet worden. Die Täter sind in der Mehrzahl der Fälle nicht ermittelt worden, obwohl es deutliche Hinweise für die Beteiligung von Angehörigen der türkischen Sicherheitskräfte an einigen dieser Morde gibt. Mehrere lokale IHD-Büros sind unter verschiedenen Vorwänden geschlossen worden. Der Mordanschlag auf Akin Birdal im Mai 1998 löste weltweites Entsetzen aus. amnesty international vertritt die Auffassung, dass die türkischen Behörden durch ihre Versuche, den IHD mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Verbindung und so in Misskredit zu bringen, ein Klima geschaffen haben, in dem ein solches Attentat verübt werden konnte.