Asylgutachten: Nachrichtenaustausch der Sicherheitsdienste

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16.06.2005 	        OVG 6 B 8.04 	EUR 44-05.024 	21.12.2005

Sehr geehrte Frau Dr. Bumke,

die Fragen aus Ihrem Beweisbeschluss beantworten wir wie folgt:

Zu Frage 1:

a) Welchen Aufgabenbereich hat die Generalsicherheitsdirektion in Ankara?

Die Generalsicherheitsdirektion ist die oberste Polizeibehörde der Türkei. In diesem Sinne ist sie mit dem BKA in Deutschland vergleichbar, wobei sich natürlich wesentliche Unterschiede daraus ergeben, dass die Türkei im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland ein zentralistisch organisierter Staat ist.

b) Handelt es sich um eine selbstständige Behörde bzw. in welche Behördenorganisation ist die Generalsicherheitsdirektion eingebunden?

Die Generalsicherheitsdirektion ist dem Türkischen Innenministerium unterstellt. Ihr Leiter, der Emniyet Genel Müdürü, untersteht direkt dem Innenminister bzw. dessen Stellvertreter.

c) Arbeitet die Generalsicherheitsdirektion mit den Grenzbehörden zusammen?

Der Generalsicherheitsdirektion unterstehen sämtliche Untergliederungen der Polizei in der Türkei, darunter auch die Polizeidienststellen an den Grenzkontrollstellen. Innerhalb der Generalsicherheitsdirektion gibt es ein „Zentrum zur Informationssammlung“ (Genel Bilgi Toplama Merkezi, GTB), wo recherchierte oder von anderen Stellen eingegangene Informationen aufgenommen und ggf. an die jeweils zuständigen Stellen weitergeleitet werden. Je nach Art der Informationen bzw. dem Stand eines möglichen Verfahrens können die Informationen an die Staatsanwaltschaft, sämtliche oder bestimmte Polizeidienststellen, die Grenzbehörden oder auch an die Geheimdienste weitergegeben werden.

Zu Frage 2:

Werden die auf der Grundlage des Strafnachrichtenaustausches erfassten Daten der örtlich zuständigen Polizeibehörde nur auf nichtelektronischem Wege übermittelt? Besteht für die örtlich zuständige Polizeibehörde ein computergestützter Zugriff auf die Daten?

und Frage 3:

Werden die Daten – ggf. auf welchem Wege – auch den türkischen Grenzbehörden zur Kenntnis gegeben?

Technische Details der Datenübermittlung zwischen der Generalsicherheitsdirektion und örtlichen Polizeistellen oder den Grenzbehörden sind uns nicht bekannt. Die Grenzbehörden verfügen jedenfalls über Computer und erhalten für sie relevante Daten. Mit Sicherheit werden Informationen über Haft-, Such- oder Festnahmebefehle weitergegeben, ebenso – insbesondere an die Grenzbehörden – Aus- oder Einreiseverbote. Ob und welche Daten evtl. darüber hinaus übermittelt werden, ist uns nicht bekannt.

Zu Frage 4:

a) Liegen Erkenntnisse dazu vor, dass Personen, die in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz verurteilt worden sind, nach Rückkehr in ihren Heimatort von der örtlich zuständigen Polizeibehörde einer besonderen Befragung bzw. der Verurteilung unterzogen werden?

Bezüglich dieser konkreten Fallkonstellation einer vorausgegangenen Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz in Deutschland liegen uns keine Beispiele für das Schicksal abgeschobener Personen in der Türkei vor. Es ist davon auszugehen, dass die türkischen Behörden nicht der Verstoß gegen das deutsche Vereinsgesetz selbst interessieren wird, sondern die sich aus der Verurteilung ergebende Nähe zur PKK. Diesbezüglich könnte eine Information aus dem Strafnachrichtenaustausch dazu führen, dass das „Zentrum zur Informationssammlung“ der Generalsicherheitsdirektion bei der zuständigen Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts der Unterstützung oder Mitgliedschaft in der PKK beantragt. In diesem Falle könnte ein Festnahmebefehl zum Zwecke der Vernehmung ausgestellt werden, der dann den Grenzbehörden, der örtlich zuständigen Polizeistelle und evtl. auch den Geheimdiensten vorliegen würde. Dies würde im Fall der Rückkehr der betreffenden Person in die Türkei zu einer Festnahme bei der Einreise und ggf. zur Einleitung eines Gerichtsverfahrens führen. Möglich wäre in dem bechriebenen Fall ein Verfahren wegen Propaganda für eine illegale Organisation gemäß Artikel 7 des Antiterrorgesetzes oder – falls z. B. über in Deutschland aktive Geheimdienstquellen zusätzliche Informationen beschafft wurden – unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation nach § 314 des neuen türkischen Strafgesetzbuches.

Für den Fall, dass der Kläger unbehelligt in die Türkei einreisen kann, wäre die Wahrscheinlichkeit einer anschließenden, an seine Aktivitäten in Deutschland anknüpfenden Verfolgung geringer, aber nicht ausgeschlossen. Auch wenn eine Informationsweitergabe durch das „Zentrum zur Informationssammlung“ nicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft und damit zum Erlass eines Festnahmebefehls führt, können die Informationen auch an die Polizei des Heimatortes gegeben werden und Anlass für Vernehmungen, Bedrohungen oder auch Misshandlungen des Klägers sein.

b) Sind in diesem Zusammenhang Fälle von Misshandlungen/Inhaftierungen bekannt?

Wie oben erwähnt, liegen uns bezüglich dieser konkreten Fallkonstellation einer vorausgegangenen Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz in Deutschland keine Beispiele für das Schicksal abgeschobener Personen in der Türkei vor. Während in den vergangen Jahren (bis ca. 2000) mehrfach Kurden, selbst wenn sie nur auf sehr niedrigem Niveau politisch aktiv gewesen waren, nach ihrer Abschiebung in die Türkei festgenommen und gefoltert wurden, sind derartige Fälle in den letzten Jahren nicht mehr bekannt geworden. Allerdings muss hier – wie in allen Bereichen von Menschenrechtsverletzungen – von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Im Falle von Personen, die von den türkischen Behörden verdächtigt werden, Mitglieder militanter politischer Organisationen zu sein, geht amnesty international nach wie vor von einer erheblichen Foltergefahr aus, vor allem wenn bei ihnen Kenntnisse über Organisationsstrukturen im Ausland oder in der Türkei vermutet werden.

Zu Frage 5:

Liegen Erkenntnisse dazu vor, dass aus dem Osten der Türkei stammende Personen, die in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz verurteilt worden sind, bei einer Aufenthaltsnahme im Westen der Türkei einer solchen Befragung wegen der Verurteilung unterzogen werden?

Falls es nicht aus den in den Ausführungen zu Frage 4 dargelegten Gründen zu einer Festnahme an der Grenze kommen sollte, spräche dies dafür, dass dem Kläger keine so hohe politische Bedeutung beigemessen wird, dass mit einer landesweiten Informationsweitergabe über ihn zu rechnen wäre. Es wäre auch dann nicht auszuschließen, dass er aufgrund seiner Aktivitäten in Deutschland auch landesweit ins Fadenkreuz von Polizei oder Geheimdienst gerät, dies wäre aber wahrscheinlich eher ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände und nicht das Ergebnis einer systematischen Fahndung.

Zu Frage 6:

Liegen Erkenntnisse dazu vor, dass das Türkische Justizministerium bzw. die Generalsicherheitsdirektion die im Wege des Strafnachrichtenaustausches übermittelten Daten beispielsweise nach der mitgeteilten Straftat bzw. der Strafvorschriften oder nach Art und Höhe der Strafe kategorisiert und zum Abgleich mit von türkischen Sicherheitsbehörden gesammelten Informationen nutzt?

Hierzu liegen uns keine Erkenntnisse vor. Es ist allerdings anzunehmen, dass Informationen im Rahmen des Strafnachrichtenaustausches zum Anlass genommen werden, nach zusätzlichen Erkenntnissen, insbesondere Vorstrafen in der Türkei, zu recherchieren.

Zu Frage 7:

Liegen Erkenntnisse dazu vor, ob – ggf. nach welchem Zeitraum – die im Wege des Strafnachrichtenaustausches übermittelten Daten von den zuständigen Behörden gelöscht werden?

Hierzu liegen uns keine Erkenntnisse vor.

Mit freundlichen Grüßen

Amke Dietert
– Länderkogruppe Türkei –

Für die Richtigkeit
Annelie Evermann
Länder und Asyl
Referentin Türkei