Ein Leben als Zielscheibe

AMNESTY JOURNAL MÄRZ 2007

TÜRKEI / PORTRÄT

Von Sabine Küper

Ein Leben als Zielscheibe

Der Journalist und Autor Dink Hrant setzte sich für Minderheiten und Meinungsfreiheit ein. Sein Engagement bezahlte er mit seinem Leben. Von Sabine Küper-Büsch

Am Tag seiner Ermordung, dem 19. Januar 2007, erschien Hrant Dinks letzter Artikel. Er berichtete von den zweieinhalb Jahren andauernden Gerichtsverhandlungen, den Enttäuschungen und Ängsten und verglich seinen Gemütszustand mit dem einer ständig um sich blickenden, furchtsamen Taube. »Ich weiß, dass die Menschen dieses Landes Tauben nichts tun«, schrieb er. Wenig später wurde Hrant Dink erschossen.

Kurz vor seinem Tod beschäftigte sich der Journalist in seinen Artikeln mit dem Gefühl, ausgegrenzt zu sein. Schließlich gehörte er neben den prominenten Autoren Orhan Pamuk und Elif Safak zu den wenigen, die sich über die Frage der Armenier in der Türkei geäußert hatten. Er war jedoch der einzige von ihnen, der wegen »Beleidigung des Türkentums« auch verurteilt wurde. Eine weitere Klage ließ im Falle einer Verurteilung eine Gefängnisstrafe wahrscheinlich werden. Hrant Dink fragte in seinem letzten Beitrag, wo er hingehen solle. Nach Armenien? Das Land erschien ihm nicht demokratischer als die Türkei. Nach Europa? Dort bekomme er immer Heimweh.

Das Leben von Hrant Dink, der 1954 im ostanatolischen Malatya geboren wurde, war in mancher Hinsicht durch Einsamkeit geprägt. Als er sieben Jahre alt war, immigrierten seine Eltern mit ihren drei Kindern nach Istanbul. Kurz darauf trennten sie sich, Hrant und seine beiden Brüder kamen in das Waisenhaus der Armenisch-Protestantischen Kirche in Istanbul. Dort lernte er bereits in der Grundschule seine spätere Frau Rakel Yagbasan kennen.

Nach seinem Abschluss an der Universität in Istanbul, wo er Zoologie und Philosophie studiert hatte, leitete er das armenische Sommer-Landschulheim in Tuzla. Doch das Gebäude wurde bald, wie viele Immobilien armenischer und griechischer Stiftungen, verstaatlicht. Hrant Dink traf dieser Verlust hart, weil er Erinnerung damit verband und es als Ungerechtigkeit empfand, dass Waisenkindern ihre Zuflucht genommen wurde. Er begann, sich mit den spezifischen Problemen von Minderheiten zu beschäftigen und gründete zusammen mit seinen Brüdern eine kleine Buchhandlung. In den neunziger Jahren erschienen seine ersten Kolumnen in einer Regionalzeitung. Da er zumeist Rezensionen über Bücher schrieb, die von der Geschichte der Armenier in der Türkei handelten, benutzte er das Pseudonym »Çutak« (Violine).

Gemeinsam mit einigen Freunden gründete er 1996 die auf Türkisch und Armenisch erscheinende Wochenzeitung »Agos«, die als eine Plattform für armenische Kultur in der Türkei dienen sollte. Hrant Dink erkannte, wie wichtig es war, die eigene Geschichte zu thematisieren, ohne sich ausschließlich in die Diskussion um den Völkermord zu verstricken.

In der Kolumne, die ihm im Oktober 2005 sechs Monate Gefängnis auf Bewährung einbrachte, wendete sich Dink an die Armenier in der Diaspora. Sein Appell war eindeutig: Sie sollten auf die Feindschaft zu den Türken als konstitutives Element der armenischen Identität verzichten. Der Journalist hielt auch die Verknüpfung der türkischen EU-Mitgliedschaft mit der geschichtlichen Aufarbeitung des Schicksals der Armenier im osmanischen Reich für falsch. Er sah die Zukunft der Minderheiten vielmehr in der Liberalisierung und Demokratisierung einer aufgeklärten, an Europa orientierten Türkei.

Diese Haltung provozierte türkische Nationalisten allerdings noch mehr als die Thematisierung der armenischen Geschichte. Kaum einer von ihnen, auch Dinks Mörder Ögün Samast, hatte die Zeitung »Agos« jemals in der Hand gehabt. Doch Hrant Dink wurde wegen der Prozesse, die gegen ihn geführt wurden, zu einem Symbol für die Meinungsvielfalt in der Türkei.

Sein vorletzter Artikel vom 12. Januar 2007 trug die Überschrift »Warum ich Zielscheibe wurde«. Hrant Dink beschrieb darin eine Art Chronik der Drohungen, die er in den vergangenen Jahren durch offizielle Stellen erfahren hatte. So wurde er am 23. Februar 2004 vom stellvertretenden Gouverneur von Istanbul, Ergun Güngör, zu einer Unterredung in dessen Amtssitz berufen. Dort wurde er von zwei Personen eingeschüchtert, die ihm als »Gäste« vorgestellt wurden: Die in Agos veröffentlichten Geschichten könnten von den Bürgern auf der Straße falsch verstanden werden, die Folgen seien nicht abzuschätzen, erklärte einer der vermeintlichen Gäste. »Es gibt Foren im Internet, in denen terrorartige Anschläge auf armenische Einrichtungen geplant werden«, fügt er hinzu. »Meinen Sie nicht, dass sie vorsichtiger sein sollten, bevor sie solche Nachrichten veröffentlichen?« Nach Dinks Ermordung musste der Gouverneur von Istanbul, Muammer Güler, zugeben, dass es sich bei den so genannten Gästen um Mitarbeiter des Geheimdienstes gehandelt hat.

Mittlerweile sind Einzelheiten bekannt geworden, dass die Polizei in Trabzon und Istanbul von den Mordplänen gewusst hatte. Es ist offensichtlich, dass im Polizeiapparat und der Justiz Entscheidungsträger sitzen, die eher die Meinungen des Täters als des Opfers teilen. Hrant Dink wäre von dieser Erkenntnis sicher nicht überrascht gewesen.

  • Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Istanbul.