AMNESTY INTERNATIONAL
LÄNDER UND ASYL
Zusammenfassende Übersetzung der Türkei-Koordinationsgruppe, verbindlich ist das englische Original.
Amnesty International April 2009 Index: EUR 44/001/2009
InhaltsverzeichnisGestrandet – Flüchtlinge schutzlos in der Türkei
Am 8. Dezember 2007 berichteten türkische und internationale Medien über Leichenfunde an der türkischen Westküste in der Nähe von Izmir, nachdem ein Boot mit Dutzenden von Männern, Frauen und Kindern gesunken war, die versucht hatten, Griechenland zu erreichen. In den folgen Tagen stieg die Zahl der gefundenen Toten auf 50 an, 10 Personen wurden lebend geborgen. Wie viele Personen bei dem Vorfall insgesamt ums Leben kamen, ist nicht bekannt. Dies ist kein Einzelfall. Und diese Tragödie macht deutlich, in welch verzweifelter Lage sich Menschen befinden, die versuchen, Europa zu erreichen. Obwohl zumindest ein Teil der Personen, die auf überfüllten und seeuntauglichen Booten die lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer antreten, internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, sind sie gefangen zwischen den EU-Staaten, die mit immer rigideren Maßnahmen versuchen, die Einreise von möglichen Asylsuchenden zu verhindern und der Türkei, die ihrer Schutzverpflichtung nach internationalem Recht nicht nachkommt.
Flüchtlingen, die in der Türkei um Asyl nachsuchen, werden elementare Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verweigert. Viele geraten in Lebensgefahr, da sie nicht den notwendigen Schutz finden. 2007 gab es in der Türkei nach Kenntnis des UNHCR 12630 Flüchtlinge u.a. aus dem Iran, dem Irak, aus Afghanistan und Somalia. Das türkische Militär gab im Oktober 2007 bekannt, dass in der Zeit von Januar bis Oktober 2007 mehr als 29,000 „illegale Einwanderer“ von der Armee in Gewahrsam genommen wurden.
Menschenrechtsorganisationen in der Türkei bestätigten, dass die Zahl der „illegalen Einwanderer“, die von der Armee fest genommen werden, noch weitaus geringer ist als die Zahl derer, die insgesamt illegal in die Türkei einreisen. Darüber, wie viele „illegale Einwanderer“ tatsächlich in die Türkei einreisen, stehen keine verlässlichen Zahlen zur Verfügung.
Die Türkei hat die GFK unterzeichnet und ist Mitglied des Exekutivkomitees des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR). In ihrer ursprünglichen Fassung von 1951 hatte die GFK den Unterzeichnerstaaten jedoch die Option offen gelassen, ihre Schutzzusage für Flüchtlinge auf Personen zu begrenzen, die a) aufgrund von Ereignissen in Europa vor dem 1. Januar 1951 oder b) aufgrund von Ereignissen in Europa oder anderswo vor dem 1. Januar 1951 zu Flüchtlingen geworden sind. Die zeitliche Beschränkung wurde in einem Zusatzprotokoll zur GFK von 1967 aufgehoben, Staaten, die die Konvention schon vorher unterzeichnet hatten, konnte jedoch die geographische Beschränkung aufrecht erhalten. Die Türkei hat diese Option gewählt und ist heute praktisch der einzige Staat, der das Asylrecht auf Flüchtlinge aus Europa begrenzt.
Trotz dieser schwierigen rechtlichen Lage versuchen Tausende von Flüchtlingen aus Ländern außerhalb Europas in der Türkei Zuflucht vor politischer Verfolgung in ihrem Heimatland zu finden. Aufgrund der Weigerung der Türkei, Nicht-Europäern einen Flüchtlingsstatus zu gewähren, nehmen Büros des UNHCR Asylgesuche dieser Flüchtlinge entgegen und entscheiden über ihre Anerkennung als Flüchtlinge gemäß der GFK. 2006 erhielten die UNHCR-Vertretungen in der Türkei 4500 neue Asylanträge von nicht-europäischen Asylsuchenden, 2007 waren es 7650, in 2008 schon 12980 Anträge, ein 70%iger Anstieg gegenüber dem Vorjahr.
Ein Problem bei der Diskussion über dieses Thema ist, dass die Türkei die Begriffe „Flüchtling“ und „Asylsuchender“ anders definiert als international völkerrechtlich etabliert. Nach türkischem Sprachgebrauch ist ein „Flüchtling“ ein Ausländer oder Staatenloser europäischer Herkunft, der nach den Kriterien von Artikel 1 der GFK vom türkischen Innenministerium als Flüchtling anerkannt wurde. Ein „Asylsuchender“ wird definiert als ein Ausländer oder Staatenloser nicht-europäischer Herkunft, bei dem mit Entscheidung des Innenministeriums anerkannt wurde, dass er die Kriterien von Artikel 1 GFK erfüllt. In diesem Bericht werden die Begriffe jedoch wie international üblich verwendet, d.h. als „asylsuchend“ wird eine Person bezeichnet, die um Schutz als Flüchtling nachgesucht hat, über deren Gesuch aber noch nicht entschieden ist; ein „Flüchtling“ ist eine Person, deren Schutzanspruch gemäß den Kriterien der GFK anerkannt wurde.
Das türkische Asylverfahren und seine Umsetzung
a) Rechtliche und praktische Probleme des Verfahrens
Es gibt in der Türkei kein spezifisches Gesetz, das den Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden regelt. Stattdessen gibt es lediglich Verwaltungsvorschriften, insbesondere die „Asylvorschriften“ aus dem Jahr 1994, die 1999 umfassend geändert und mit einer 2006 erlassenen Umsetzungsanweisung noch einmal völlig neu interpretiert wurden. Das Fehlen eines Gesetzes schwächt den Schutz von Flüchtlingen und Asylsuchenden und schafft eine undurchschaubare Situation, da die Vorschriften jederzeit ohne parlamentarische Kontrolle und öffentliche Debatte geändert werden können. Seit dem Erlass der Asylvorschriften im Jahr 1994 müssen auch Asylsuchende aus nicht europäischen Ländern neben dem Anerkennungsverfahren durch den UNHCR das türkische Asylverfahren durchlaufen. In der Vergangenheit lehnten sich die türkischen Behörden weitgehend an die Entscheidungspraxis des UNHCR an, in letzter Zeit werden aber vermehrt Anträge von Asylsuchenden, die vom UNHCR als Flüchtlinge anerkannt wurden, im türkischen Verfahren abgelehnt. Diese Personen sind akut von einer Abschiebung in das Verfolgerland bedroht. Die türkischen Behörden verweigern in diesen Fällen auch die Ausreise für eine vom UNHCR vermittelte Ansiedlung in einem Drittland.
Die Interviews, die der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft dienen, weisen gravierende Mängel auf:
– sie werden oft von Polizeibeamten durchgeführt, die keine Ausbildung für diese Aufgabe erhalten haben;
– es stehen nicht ausreichend Dolmetscher zur Verfügung, insbesondere nicht für alle relevanten Sprachen;
– den prüfenden Beamten steht kein Informationssystem über die Lage in den Herkunftsländern zur Verfügung, mit deren Hilfe sie die Gefährdung eines Asylsuchenden beurteilen könnten;
– das Gebot der Vertraulichkeit wird verletzt – oft finden mehrere Interviews gleichzeitig in einem Raum statt;
– im Falle einer Ablehnung wird den Antragstellern keine schriftliche Begründung ausgehändigt, sondern lediglich ein Deportationsbescheid.
Die Entscheidung darüber, ob ein Asylsuchender als Flüchtling anerkannt wird, liegt beim türkischen Innenministerium. Die Zuständigkeit kann aber auch an die Provinzgouverneure übertragen werden. Dabei haben im Prinzip nur Personen, die legal eingereist sind – d.h. mit gültigen Reisedokumenten, die gerade für politisch Verfolgte oft nicht zu erlangen sind – ein Recht auf Asyl und Zugang zum Asylverfahren. Diese Personen haben im Falle einer negativen Entscheidung 15 Tage Zeit für einen Widerspruch. Über dieses Recht und das Recht, gegen einen ablehnenden Widerspruchsbescheid vor dem Verwaltungsgericht zu klagen, werden die Asylsuchende in der Regel jedoch nicht informiert. Dies spiegelt sich in den Zahlen wieder: zwischen 2002 und 2007 haben nur 123 Asylsuchende Widerspruch auf der Verwaltungsebene gegen einen negativen Bescheid erhoben. Im gleichen Zeitraum haben nur 22 Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Seit 2008 hat sich die Zahl der Klagen jedoch erhöht und die Gerichte haben teilweise auch einen Aufschub der Abschiebung angeordnet (wenn das Gericht keine Aussetzung der Abschiebung anordnet, können Asylsuchende abgeschoben werden, ohne dass die endgültige Entscheidung abgewartet wird). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bietet das Widerspruchs- bzw. Klageverfahren in der Türkei keinen ausreichenden Rechtsschutz. Klagen vor dem EGMR haben in vielen Fällen dazu geführt, dass dieser die Aussetzung einer Abschiebung angeordnet hat.
Personen, die keinen Widerspruch gegen ihre Ablehnung als Flüchtling eingelegt haben oder deren Widerspruch zurückgewiesen wurde, müssen die Türkei innerhalb von 15 Tagen verlassen und werden anderenfalls auf Veranlassung des Innenministeriums abgeschoben. Noch eingeschränkter sind die rechtlichen Möglichkeiten in den beschleunigten Verfahren, denen u.a. Personen unterworfen werden, die wegen „illegaler Einreise“ festgenommen wurden oder die schon einmal einen Asylantrag gestellt haben. Diese Asylsuchenden werden für die Dauer des Verfahrens inhaftiert, Anwälte oder Vertreter des UNHCR haben keinen Zugang zu ihnen. Die Verfahren sollen in diesen Fällen innerhalb von fünf Tagen abgeschlossen werden, ein Widerspruch gegen eine ablehnende Entscheidung muss innerhalb von zwei Tagen eingelegt werden.
b) Zugang zum Verfahren
Ein Hindernis für den Zugang zu einem Asylverfahren ist der Mangel an Informationen über dieses Verfahren. Das türkische Innenministerium hat zwar ein Informationsblatt über das Asylverfahren in mehreren Sprachen herausgegeben, dieses wird aber offenbar Asylsuchenden nicht zugänglich gemacht. Ein Beamter des Polizeipräsidiums in Van – eine Stadt in der Nähe der iranischen Grenze, in der sehr viele Flüchtlinge leben – erklärte gegenüber Amnesty International, die Informationsblätter würden festgenommenen Immigranten nicht zugänglich gemacht, da das Verfahren für das Stellen eines Asylantrags „gut bekannt“ sei.
Es werden keinerlei Maßnahmen ergriffen um sicherzustellen, dass Menschen, die evtl. Schutz benötigen, Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben, bevor Schritte zu ihrer Abschiebung eingeleitet werden. Asylsuchenden stehen auch keine Dolmetscher zur Verfügung, so dass der Zugang zum Asylverfahren oft schon an Verständigungsproblemen scheitert.
Inhaftierten Asylsuchenden wird – entgegen internationalen Standards – der Zugang zu einem Anwalt verweigert. Zumindest wenn ihnen Straftaten vorgeworfen werden (z.B. Verstoß gegen Einreisebestimmungen) müsste ihnen auch nach türkischem Recht ein Anwalt beigestellt werden. Die Verfahrensvorschriften für das Asylverfahren sehen aber weder die Beiordnung eines Anwalts noch eine Verpflichtung der Beamten vor, über das Recht auf einen Anwalt zu informieren.
Diejenigen, die in „Gästezentren“ (s. u. Abschnitt „Willkürliche Inhaftierungen“) untergebracht sind, haben überhaupt kein Recht auf den Besuch eines Anwalts, da diese Internierung nach türkischem Recht nicht als Inhaftierung gilt und da keine Strafverfahren gegen sie geführt werden. In Einzelfällen durften Anwälte und Vertreter des UNHCR Flüchtlinge in den „Gästezentren“ aufsuchen, in der Regel werden aber derartige Besuche, ebenso wie auch Besuche von Vertretern von NRO’s, abgelehnt.
c) Verstöße gegen das Refoulement-Verbot
Eines der Kernstücke des Asylrechts ist das Prinzip des Non-Refoulement, also das Verbot, eine Person in ein Land abzuschieben, in welchem dieser Gefahr für Leib und Leben oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Diese Verpflichtung ergibt sich für die Türkei auch aus der UN-Konvention gegen Folter und aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Aus dem Verbot des Non-Refoulement folgt, dass kein Staat Personen, die um Schutz vor Verfolgung nachsuchen, an seiner Grenze zurückweisen darf, sondern in einem fairen Verfahren prüfen muss, ob eine begründete Furcht vor Verfolgung besteht. Das türkische Recht erkennt im Prinzip eine Schutzverpflichtung für Asylsuchende an, die in das Land eingereist sind. In der Praxis weisen Grenzbeamte Antragsteller jedoch zurück mit dem Argument, sie seien noch nicht in die Türkei eingereist. Damit wird ihnen der Zugang zum Asylverfahren verweigert und sie werden ohne Prüfung einer möglichen Gefährdung an der Grenze zurückgewiesen.
Obwohl das türkische Recht ein juristisches Verfahren vorsieht, bevor eine Person zwangsweise abgeschoben werden darf, werden vor allem Ausländer, die in der Nähe der iranischen Grenze aufgegriffen werden, routinemäßig zurückgeschoben. Ein Beamter des Polizeipräsidiums in Van bestätigte Amnesty International, dass es ein informelles Abkommen mit dem Iran gebe, wonach Personen, die illegal die Grenze überquert haben, in den Iran zurückgeschoben werden dürfen, wenn sie innerhalb einer Zone von 50km hinter der Grenze festgenommen wurden. Betroffene Personen berichteten, sie seien sowohl bei ihrer Festnahme durch türkische Gendarmerie als auch nach ihrer Überstellung in den Iran geschlagen worden. Auch an der türkisch-irakischen Grenze kam es zu ungesetzlichen Rückschiebungen.
Neben direkten Rückschiebungen an der Grenze wurden auch Menschen abgeschoben, die vom UNHCR als Flüchtlinge anerkannt worden waren, nicht aber in dem türkischen Verfahren. Ebenfalls abgeschoben wurde Personen, die als Asylsuchende registriert worden waren, über deren Status aber noch nicht entschieden war.
Im April 2008 wurde eine Gruppe von 18 Personen, darunter registrierte Flüchtlinge, gezwungen, über den Tigris zu schwimmen, um so die Grenze zum Irak zu überqueren. Die irakischen Grenzbeamten weigerten sich jedoch, die Menschen irakisches Gebiet betreten zu lassen. Vier Personen sind auf diese Weise ertrunken. Auf die Forderung von Menschenrechtsorganisationen, diesen Vorfall zu untersuchen, reagierte die türkische Regierung nicht.
Verhinderung der Ansiedlung in einem Drittland: 1200 kurdische Flüchtlinge aus dem Iran
Bestimmten Gruppen von Flüchtlingen wird von den türkischen Behörden die Ausreisegenehmigung verweigert. Damit wird ihre Ansiedlung in einem anderen Aufnahmeland verhindert. Dies betrifft auch eine Gruppe von etwa 1200 kurdischen Flüchtlingen aus dem Iran, die seit ihrer Einreise über den Nordirak zwischen 2001 und 2003 auf ihre Ansiedlung in einem Aufnahmeland warten.
Diese Menschen hatten ursprünglich im Nordirak um Asyl nachgesucht. Aufgrund der zu dieser Zeit dort sehr prekären Sicherheitslage konnten sie dort jedoch keinen Schutz finden und es war auch nicht möglich, sie von dort aus in ein Aufnahmeland zu bringen. Daher flohen sie weiter in die Türkei.
Obwohl diese iranischen Kurden vom UNHCR sowohl im Nordirak als auch in der Türkei als Flüchtlinge gemäß der GFK anerkannt wurden, hat die Türkei in den allermeisten Fällen ihre Ausreise zur Ansiedlung in einem Drittland verhindern und einige von ihnen sogar abgeschoben, was einen Verstoß gegen das Refoulement-Verbot der GFK darstellt. Einige wurden gezwungen, bei der türkischen Polizei Erklärungen zu unterzeichnen, worin sie akzeptierten, nicht als Flüchtlinge, sondern als „Ausländer“ behandelt zu werden. Dies bedeutet, dass sie nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, verbunden mit dem Risiko, in den Iran abgeschoben zu werden, wenn ihnen die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird oder wenn sie eine Gefahr für „die öffentliche Ordnung, die öffentliche Gesundheit, die allgemeine Moral oder die nationale Sicherheit“ darstellen; dass sie keine Erlaubnis für die Ansiedlung in einem Drittland erhalten und kein Recht auf staatliche Gesundheitsversorgung haben. Örtliche Anwälte erhielten vom türkischen Innenministerium die Auskunft, diese Maßnahmen seien notwendig, um andere Menschen aus dem Iran davon abzuhalten, ebenfalls in die Türkei zu kommen.
Ein iranischer Kurde, A.P., wurde im Oktober 2007 zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn in den Irak zurückgeschoben. Die Familie hatte seit November 2002 in der Türkei gelebt und sie waren vom UNHCR als Flüchtlinge anerkannt worden. Die türkischen Behörden lehnten ihre Anerkennung als Flüchtlinge jedoch habe, nahmen sie fest und deportierten sie in den Irak. In einem Brief an die UNHCR-Vertretung in Ankara vom 18. Oktober 2007 teilten die türkischen Behörden mit, sie würden den Antrag von A.P. und seiner Familie auf eine Aufenthaltserlaubnis in der Türkei ablehnen. A.P. berichtete Amnesty International, seine Familie und er seien am 19. Oktober 2007 gewaltsam in den Irak abgeschoben worden. Die türkischen Behörden hätten ihm angedroht, sie könnten ihn auch in den Iran bringen und ihn gezwungen, ein türkisches Dokument zu unterschreiben, das er nicht lesen konnte. Alle drei wurden bei ihrer Ankunft im Nordirak festgenommen. Während seine Frau und sein Sohn nach zwei Tagen freigelassen wurden, wurde A.P. 20 Tage in Haft gehalten. Die Familie kehrte in die Türkei zurück und wurde im Februar 2008 in der Stadt Muş festgenommen. Auf Anordnung eines Gerichts in Muş wurden sie am 16. März 2008 erneut in den Nordirak abgeschoben, obwohl sie das Gericht darauf hingewiesen hatten, dass sie als Flüchtlinge anerkannt worden sind.
Da sie weder einen effektiven Schutz in der Türkei, noch eine Chancen auf eine offizielle Umsiedlung in ein anderen Aufnahmeland haben, haben viele dieser Gruppe iranischer Kurden die Türkei illegal verlassen und sind in Länder der EU gereist. In der Türkei geblieben sind diejenigen, die zu einer illegalen Ausreise nicht in der Lage sind, vor allem ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Personen.
d) Folgen der geographischen Beschränkung und Verhinderung der Ausreise
Da die Türkei die geographische Beschränkung in der GFK für sich aufrecht erhält, ist eine dauerhafte Ansiedlung von Flüchtlingen aus nicht-europäischen Ländern in der Türkei nicht möglich, auch wenn sie als Flüchtlinge gemäß der GFK anerkannt wurden. Für diese Flüchtlinge muss der UNHCR daher ein anderes Aufnahmeland suchen. Er darf dies allerdings gemäß einer Übereinkunft mit den türkischen Behörden nur für diejenigen, die auch nach dem türkischen Verfahren als Flüchtlinge anerkannt sind.
In zahlreichen Fällen wurde vom UNHCR anerkannten Flüchtlingen die Ausreise in ein Aufnahmeland verweigert. Besonders häufig wird als Begründung für ein Ausreiseverbot angeführt, dass die betreffende Person verhängte Strafgebühren nicht bezahlt hat. Derartige Strafen werden z.B. erteilt für Verstöße gegen die Meldebestimmungen. Asylsuchende müssen alle sechs Monate ihre Aufenthaltserlaubnis verlängern lassen, wofür eine Gebühr von 300 türkischen Lira erhoben wird (ca. 150 Euro). Das Gesetz sieht zwar vor, dass auf die Gebühr verzichtet werden kann, wenn der Antragsteller nicht in der Lage ist sie aufzubringen. Von dieser Möglichkeit wird aber nur selten Gebrauch gemacht. Da die Asylverfahren oft mehrere Jahre dauern, können sich beträchtliche Geldstrafen angesammelt haben.
Auch aus Europa sind viele Menschen in die Türkei geflohen, um Schutz vor Krieg oder Verfolgung zu suchen, vor allem aus Bulgarien, Bosnien-Herzegowina, Tschetschenien und dem Kosovo. Viele von ihnen haben zwar ein Aufenthaltsrecht in der Türkei erhalten, keine einzige Person wurde jedoch als Flüchtling gemäß der GFK anerkannt und damit einen gesicherten Rechtsstatus erhalten.
Tschetschenische „Gäste“ in der Türkei
Nach dem Ausbruch des Krieges in Tschetschenien im Jahre 1999 waren viele Tschetschenen gezwungen, in benachbarten Ländern Asyl zu suchen, darunter auch in der Türkei. Tschetschenen, die vor dem bewaffneten Konflikt und damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen flohen, kamen bis zum Jahr 2005 in der Türkei an. Vertreter der Tschetschenen gehen davon aus, dass sich derzeit etwa 1000 Tschetschenen in der Türkei aufhalten. Im Gegensatz zu den meisten Menschen, die in der Türkei um Schutz vor Verfolgung nachsuchen, fallen die Tschetschenen unter die Kategorie der „Europäer“, da ihr Heimatland dem Europarat angehört. Dies gibt verfolgten Tschetschenen theoretisch das Recht auf eine Anerkennung als Flüchtling und auf eine Ansiedlung in der Türkei. In der Praxis haben die geflohenen Tschetschenen jedoch keinen Zugang zu Asylverfahren erhalten. Vertreter der tschetschenischen Gemeinschaft haben Amnesty International berichtet, dass kein einziger Tschetschene als asylberechtigt anerkannt wurde. Stattdessen wurden ihnen vom türkischen Innenministerium ein rechtlich nicht definierter „Gast-Status“ zuerkannt. Dieser Status gewährt ihnen das Recht auf vorübergehenden Aufenthalt im Land, berücksichtigt aber nicht ihre Situation als Menschen, die vor Menschenrechtsverletzungen geflohen sind und ihre individuellen Asylgründe. Ihr vorübergehender und jederzeit widerrufbarer Aufenthaltsstatus lässt die Tschetschenen in der Türkei, die unter katastrophalen Bedingungen in inoffiziellen Lagern leben, in ständiger Angst vor einer möglichen Abschiebung.
Versuche einzelner Personen einen Asylantrag zu stellen, wurden von den Behörden zurückgewiesen. Diese Entscheidungen wurden von den Betroffenen in der Regel nicht angefochten, da sie fürchteten, dass ihnen anderenfalls selbst der unsichere Status als „Gast“ aberkannt werden könnte. Die wenigen Beispiele, in denen rechtliche Schritte eingeleitet wurden, haben nach Auskunft von Anwälten in keinem Fall zu einer Asylanerkennung geführt. Vertreter der Tschetschenen und Anwälte berichteten außerdem, dass Tschetschenen, die ohne gültige Papiere eingereist waren, zeitweise nicht einmal einen Aufenthaltsstatus als „Gäste“ erhalten haben. Inzwischen haben die meisten Tschetschenen auf ausdrückliche Anordnung des Innenministeriums eine Aufenthaltserlaubnis als „Gäste“ erhalten, einige von ihnen sind aber immer noch ohne jeglichen Aufenthaltsstatus.
Vertreter der tschetschenischen Gemeinschaft berichteten Amnesty International, türkische Beamte hätten Tschetschenen – mit oder ohne Aufenthaltsstatus – mit Abschiebung bedroht, sie festgenommen oder gezwungen, Bestechungsgelder an Polizisten zu zahlen. Dies geschah vor allem zu Zeiten, in denen ihre Anwesenheit politisch unbequem war, so zum Beispiel während eines offiziellen Staatsbesuchs des damaligen russischen Staatspräsidenten Putin im Jahre 2004. Die Tschetschenen sind doppelt benachteiligt, da ihnen einerseits der Zugang zum türkischen Asylverfahren verweigert wird, sie andererseits als Europäer im Sinne der türkischen Asylbestimmungen keinen Zugang zum Anerkennungsverfahren durch den UNHCR und damit auch keine Chance auf eine Ansiedlung in einem Drittland haben.
Die meisten Tschetschenen leben in inoffiziell als „Lager“ bezeichneten Unterkünften in den Istanbuler Stadtteilen Fenerbahçe, Beykoz und Ümraniye. Aus allen diesen „Lagern“ wurde berichtet, dass die Versorgung mit Wasser, Gas und Strom oft unterbrochen wird, da die Bewohner nicht in der Lage sind, dafür zu bezahlen. Ein besonders großes Problem stellt die Beheizung im Winter dar, da die Heizmöglichkeiten nicht nur unzureichend sind, sondern auf Grund ihres schlechten Zustands die Gefahr von Gasvergiftungen mit sich bringen. Kinder können zwar die Grundschule besuchen, sie bekommen aber keine Zeugnisse oder sonstige Dokumente über ihren Schulbesuch. Begründet wird dies damit, dass sie nicht in der Lage sind, Dokumente über ihren vorherigen Schulbesuch vorzulegen. Wie auch andere Asylsuchende in der Türkei, haben die Tschetschenen keine Arbeitserlaubnisse erhalten und sind gezwungen – soweit möglich – für sehr geringe Löhne illegal zu arbeiten. Da sie in die Armut gezwungen werden, haben örtliche Behörden und zivilgesellschaftliche Organisationen die Tschetschenen manchmal auf humanitärer Basis mit Lebensmitteln versorgt und ihnen medizinische Versorgung in begrenztem Umfang ermöglicht. Es gibt jedoch keine staatliche Politik um diese Probleme zu lösen und für die Erfüllung elementarer Bedürfnisse wie Gesundheitsversorgung und Bildung der Kinder zu sorgen.
Lebensbedingungen von Flüchtlingen und Asylsuchenden in der Türkei
a) Willkürliche Inhaftierungen
Flüchtlinge und Asylsuchende werden in der Türkei oft über lange Zeiträume inhaftiert – ohne klare rechtliche Grundlage und ohne Angabe einer zeitlichen Begrenzung. Die sonst in der Türkei zugänglichen Rechtsmittel gegen eine Inhaftierung werden Flüchtlingen und Asylsuchenden vorenthalten. Flüchtlinge, denen es gelingt, aus der Haft heraus einen Asylantrag zu stellen, haben keine Zugang einem Verfahren, wie es Flüchtlingen außerhalb der Haft zur Verfügung steht. Außerdem leiden inhaftierte Flüchtlinge unter sehr schlechten Haftbedingungen, bekommen keine ausreichende Ernährung und sind Berichten zufolge Misshandlungen von Polizisten und Soldaten der Gendarmerie ausgesetzt.
In den meisten Fällen werden Flüchtlinge, Asylsuchende oder andere möglicherweise schutzbedürftige Personen unter dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Passgesetz oder das Ausländergesetz inhaftiert. Die häufigsten Tatvorwürfe sind: illegale Einreise; Versuch, das Land illegal zu verlassen oder unerlaubtes Verlassen des zugewiesenen Aufenthaltsortes. Eingeleitete Strafverfahren aufgrund dieser Vorwürfe werden zwar in der Regel eingestellt, die betroffenen Personen werden aber anschließend automatisch in eine Art Verwaltungshaft in sogenannten „Gästezentren“ für Ausländer überstellt.
Nach der Genfer Flüchtlingskonvention dürfen Asylsuchende und Flüchtlinge, die direkt aus einem Land gekommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht war, nicht aufgrund illegaler Einreise oder illegalem Aufenthalt in ihrem Fluchtland inhaftiert werden.
b) Misshandlungen durch türkische Staatsbedienstete
Zahlreiche übereinstimmende Berichte von Betroffenen machen deutlich, dass festgenommene Flüchtlinge unter Haftbedingungen leben müssen, die nicht den internationalen Mindeststandards entsprechen.
Mehrere afghanische Flüchtlinge berichteten Amnesty International, sie seien nach Überquerung der Grenze aus dem Iran im Gewahrsam der Gendarmerie geschlagen und getreten worden. Auf diese Weise wurden sie dazu gezwungen, ihr Geld herauszugeben. Während der Zeit ihrer Haft erhielten sie als Nahrung nur einen halben Laib Brot pro Tag und Person. Auch in den sogenannten „Gästehäusern“ herrschen untragbare Zustände. Sie sind überfüllt und schmutzig und auch dort ist die Ernährung völlig unzureichend. Flüchtlinge berichteten, sie hätten Schläge unter die Fußsohlen erhalten (Falaka) und seien gezwungen worden, nackt vor anderen Festgenommenen und Polizisten zu stehen.
c) Soziale Lage
Nach ihrer Registrierung werden Asylsuchende sogenannten „Satellitenstädten“ zugewiesen, in denen sie bis zu ihrer Anerkennung als Flüchtling oder – im Fall von außer-europäischen Flüchtlingen – bis zu ihrer Aufnahme in einen Drittstaat leben müssen. Diese 28 Satellitenstädte sind alles Provinzstädte und weit entfernt von den großen Metropolen wie Ankara oder Istanbul. Zu den Satellitenstädten mit den höchsten Flüchtlingszahlen gehören das ostanatolische Van und die zentralanatolischen Städte Kayseri, Konya und Eskişehir.
Soziale Rechte werden Flüchtlingen in gravierendem Maße verweigert. Die Türkei verstößt auch in diesem Punkt gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen. Der Zugang zu sämtlichen sozialen Leistung ist von einer gültigen Aufenthaltserlaubnis abhängig. Diese muss alle sechs Monate verlängert werden, wofür eine Gebühr von 300 türkischen Lira erhoben wird (ca. 150 Euro).
d) Gesundheitsversorgung
Nach internationalem Recht sollen Flüchtlinge, Asylsuchende und sonstige Personen, die unter die Regelungen der GFK fallen, Zugang zu gesundheitlicher Versorgung nach dem höchstmöglichen Standard und ohne Diskriminierung gegenüber Angehörigen der Aufnahmegesellschaft erhalten. In der Türkei gab es ursprünglich ein Projekt zur Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge innerhalb der „Stiftung für Soziale Hilfen und Solidarität“. Nach Informationen von Amnesty International verfügte das Innenministerium im Jahr 2008 in einem Rundschreiben an lokale Behörden, dass Flüchtlinge und Asylsuchende keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung innerhalb der Regelungen der „Stiftung für Soziale Hilfen und Solidarität“ erhalten sollen. Berichten zufolge wurde der Zugang zum Gesundheitssystem im Laufe des Jahres 2008 kontinuierlich verschlechtert und 2009 konnten Flüchtlinge über die „Stiftung für Soziale Hilfen und Solidarität“ überhaupt keine gesundheitliche Versorgung mehr erhalten. Auch in dem im April 2008 verabschiedeten neues Gesetz über eine Sozial- und Gesundheitsversicherung (Gesetz Nr. 5510) sind Flüchtlinge und Asylsuchende nicht unter der Gruppe bedürftiger Personen aufgeführt, die Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem erhalten sollen.
e) Recht auf Bildung
Gemäß der UN-Konvention über Erziehung, Soziale und Kulturelle Rechte und nach der UN-Kinderrechtskonvention ist die Türkei verpflichtet, für alle Kinder in ihrem Hoheitsgebiet das Recht auf Schulbildung zu gewährleisten. Kinder von Flüchtlingen und Asylsuchenden sind in der Türkei nicht generell vom Schulbesuch ausgeschlossen, bürokratische Hindernisse führen jedoch in vielen Fällen dazu, dass diese Kinder keine Schulen besuchen können – dies gilt sowohl für die primäre Schulbildung als auch, in noch stärkerem Maße, für den Besuch weiterführender Schulen.
f) Recht auf Arbeit
Nach türkischem Recht können ausländische Staatsangehörige, einschließlich Flüchtlinge und Asylsuchende, die eine Aufenthaltserlaubnis von mindestens sechs Monaten besitzen, eine spezifische Arbeitserlaubnis beantragen, wenn sie ein Angebot für eine Arbeit haben. Voraussetzung für eine Genehmigung ist, dass der Arbeitgeber nachweisen kann, dass die Arbeitsstelle nicht mit einem türkischen Staatsangehörigen besetzt werden kann. Darüber hinaus muss der potentielle Arbeitgeber verschiedene administrative Kosten tragen. Zur Zeit der Recherchen für diesen Bericht war türkischen NGO’s, die im Flüchtlingsbereich tätig sind, ein einziger Asylsuchender bekannt, der eine Arbeitserlaubnis erhalten hatte. Da Flüchtlinge weder eine legale Arbeitsmöglichkeit noch staatliche Unterstützung erhalten, sind sie darauf angewiesen, sich mit inoffiziellen Jobs unter ausbeuterischen Bedingungen zu sehr geringen Löhnen durchzuschlagen. Diese Arbeitsverhältnisse werden von staatlichen Behörden meist toleriert.
g) Recht auf Wohnung
Derzeit stellt der türkische Staat für Flüchtlinge und Asylsuchende während des Anerkennungsprozesses keine Unterkünfte zur Verfügung. In Einzelfällen wurden Flüchtlinge auf Kosten örtlicher Behörden in Hotels untergebracht, es gibt aber in keiner der „Satellitenstädte“ dauerhafte Unterkünfte. Die meisten Flüchtlinge leben in überfüllten und unzureichend geheizten Unterkünften, für die sie den privaten Besitzern oft erheblich überhöhte Mietpreise zahlen müssen.
Doppelte Diskriminierung: LGBT Asylsuchende und Flüchtlinge in der Türkei
Eine kleine, aber signifikante Gruppe von Asylsuchenden in der Türkei musste aus ihrem Heimatland fliehen, da ihr Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität drohte. Neben den Problemen, unter denen alle Flüchtlinge in der Türkei zu leiden haben, sind diese Flüchtlinge zusätzlichen Diskriminierungen und Drohungen von Privatpersonen ausgesetzt. Sie berichteten, dass staatliche Stellen auf ihre Bitten um Hilfe nicht reagiert haben.
Lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Asylsuchende trifft es besonders schwer, wenn sie in die Satellitenstädte für Flüchtlinge verteilt werden, die sich vor allem in konservativen anatolischen Städten befinden. Betroffene aus Van berichteten Amnesty International, dass sie sowohl von der Polizei als auch von der örtlichen Bevölkerung auf doppelte Weise diskriminiert würden – einerseits als Ausländer, andererseits aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Einige Asylsuchende sollen in Van von Gruppen von Türken angegriffen worden sein. Als sie Anzeige erstatteten hätte die Polizei kein Interesse gezeigt, den Vorfall zu untersuchen. Gesuche lesbischer, schwuler, bi- und transsexueller Asylsuchender auf Umverteilung in Städte mit einem weniger feindseligen Klima wurden von der Polizei nicht akzeptiert.
In Kayseri berichteten lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Asylsuchende, sie würden in ständiger Angst vor physischen Angriffen oder Vergewaltigungen leben, obwohl sie dort Berichten zufolge von der Polizei besser behandelt werden. Im März 2008 soll es in Kayseri einen Angriff auf schwule und transsexuelle iranische Flüchtlinge gegeben haben. Aufgrund von Sprachbarrieren können die Flüchtlinge der Polizei ihre Ängste oder den Ablauf tatsächlicher Angriffe nicht verständlich machen.
Ein schwules Paar, das in einer Wohnung in Kayseri lebt, wurde von der Verwaltung des Mietshauses aufgefordert, sein Erscheinungsbild zu ändern, anderenfalls würde man sie in die Beine schießen. Nachdem einer der Männer seine Erscheinung aus Angst geändert hatte, kam der Hausmeister mit einem Brief zu ihnen, der von allen 52 anderen Hausbewohnern unterzeichnet war und in dem sie aufgefordert wurden, das Haus zu verlassen. Das Paar wurde angespuckt und mit Steinen beworfen, einer der Männer berichtete, er hätte ein Magengeschwür bekommen und leide unter Alpträumen. Die Polizei habe ihnen nicht geholfen, obwohl sie über ihre Lage berichtet hätten.
Die Diskriminierungen lesbischer, schwuler, bi- und transsexueller Asylsuchender verhindern auch ihre Chance, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Wie andere Flüchtlinge auch, bekommen sie keine Arbeitserlaubnis und keine staatlichen Hilfen zum Lebensunterhalt. Darüber hinaus haben sie aber auch keine Chance auf Beschäftigung auf dem irregulären Arbeitsmarkt.
Verantwortlichkeit der Europäischen Union
Aufgrund der langen Grenze mit dem Irak und dem Iran und aufgrund vergleichsweise wenig strenger Visabestimmungen kommen viele Menschen in die Türkei, die auf internationalen Schutz angewiesen sind. Angesichts des mangelhaften Flüchtlingsschutzes und fehlender Integrationsmöglichkeiten in der Türkei versuchen viele der Asylsuchenden weiterzuwandern und auf das Territorium der Europäischen Union (EU) zu gelangen. Die EU übt Druck auf die türkische Regierung aus, die „illegale Einwanderung“ zu verhindern. Ihre stark sicherheitsorientierte Haltung bei den Kontrollen ihrer Außengrenzen hat zu immer strikteren Maßnahmen zur Verhinderung des Zugangs auf das Territorium der EU geführt.
Insbesondere durch den Beitrittsprozess der Türkei zur EU haben die europäischen Forderungen einen starken Einfluss auf die türkische Asylpolitik. Im Januar 2005 verkündete die türkische Regierung einen „Nationalen Aktionsplan für Asyl und Migration“ (NAP) als einen Schritt zur Annäherung der türkischen Asylpolitik an EU-Standards. Der NAP sieht einige Verbesserungen im Vergleich zur gegenwärtigen Asylpolitik der Türkei vor, in vielen Bereichen entspricht er aber nicht internationalen Standards. Darüber hinaus handelt es sich dabei bisher nur um Ankündigungen, die noch nicht in gültiges Recht umgesetzt wurden.
Im Sinne einer Teilung der Verantwortung sollte die EU die Türkei dabei unterstützen, ihrer Verpflichtung zu einem adäquaten Schutz von Flüchtlingen und Asylsuchenden nachzukommen, insbesondere mit technischen und finanziellen Hilfen für eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Darüber hinaus sollte die EU Ansiedlungsprogramme einführen bzw. ausweiten, um Flüchtlingen aus der Türkei und anderen Ländern, die in denen viele Flüchtlinge leben, die Chance auf eine stabile Lebenssituation zu ermöglichen.
Forderungen an die türkische Regierung
Amnesty International ruft die türkischen Behörden auf,
– die geographische Beschränkung der Flüchtlingskonvention aufzuheben und ein faires und menschenwürdiges Asylverfahren einzuführen. Dieses sollte insbesondere gewährleisten, dass alle Personen, die internationalen Schutz benötigen, Zugang zu einem adäquaten und fairen Verfahren zur Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft haben;
– das Verbot des Refoulement zu beachten und Asylsuchende nicht ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe an der Grenze zurückzuweisen oder nach einer Einreise zurückzuschieben. Abschiebungen von Personen, die vom UNHCR als Flüchtlinge anerkannt wurden oder über deren Status noch nicht entschieden wurde, müssen unter allen Umständen unterbleiben;
– Grenzbeamten und Personen, die mit dem Anerkennungsverfahren für Asylsuchende befasst sind, für den Umgang mit Asylsuchenden zu schulen und ihnen ein Informationssystem über die Situation in Herkunftsländern zur Verfügung zu stellen;
– Asylsuchenden für das Anerkennungsverfahren einen Dolmetscher zur Verfügung zu stellen und ihnen Zugang zu einem Rechtsbeistand zu gewähren;
– Entscheidungen des UNHCR über die Anerkennung von Flüchtlingen zu respektieren und die Ausreise anerkannter Flüchtlinge in ein anderes Aufnahmeland nicht zu behindern;
– die Inhaftierung von Flüchtlingen und Asylsuchenden abzustellen bzw. auf begründete Ausnahmefälle zu beschränken. Sofern eine Inhaftierung verfügt wird, müssen den Betroffenen Rechtsmittel dagegen zur Verfügung stehen und sie müssen Zugang zum Asylverfahren und zu einem Rechtsbeistand haben;
– die sozialen Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu respektieren. Eine kurzfristige Maßnahme zur Verbesserung der Situation könnte die Abschaffung der Gebühr für die Aufenthaltserlaubnis sein, da Personen, die diese nicht aufbringen können, unter besonderen Schwierigkeiten zu leiden haben.