PRESSEMITTEILUNG
15. April 2013
Verurteilung eines türkischen Pianisten sendet Warnung an Twitter-Nutzer
Die Verurteilung eines international renommierten Pianisten wegen „Verunglimpfung des Islams“ sendet eine abschreckende Botschaft an alle Nutzer sozialer Medien in der Türkei. Grund für das Urteil waren seine Äußerungen auf Twitter.
Fazıl Say, der mit den besten Orchestern der Welt spielte, erhielt heute eine zehnmonatige Haftstrafe auf Bewährung: Er soll im April 2012 in mehreren Kommentaren auf Twitter Gläubige und islamische Vorstellungen verhöhnt haben.
Andrew Gardner, Türkeiexperte von Amnesty International, sagte, dass „die Verurteilung von Fazıl Say eine eklatante Verletzung seiner Meinungsfreiheit darstellt“. Möglich sei dieses Urteil auf Grund eines der drakonischsten Strafgesetze der Türkei.
„Dieser Fall verbreitet eine abschreckende Warnung an jeden, der Twitter oder andere soziale Medien in der Türkei nutzt. Und zwar bedeutet er, dass man der nächste sein könnte, sollte man eine Meinung äußern, die den staatlichen Stellen nicht gefällt.“
Die Anklage zitierte neun Kommentare des Pianisten auf Twitter. Einer davon, den Say „re-tweetet“, also lediglich wiedergegeben hat, lautet wie folgt: „Ich weiß nicht, ob ihr es bemerkt habt, aber überall, wo eine Laus ist, keine Einheit, Zwielicht, ein Dieb oder ein Narr, da handelt es sich um einen Allah-Anhänger. Ist das ein Widerspruch?“
Ein Reformpaket, das das türkische Parlament am 12. April verabschiedete und auch unter dem Namen „viertes Gesetzespaket“ bekannt ist, verfehlt die Aufgabe, die veralteten und restriktiven Gesetze des Landes zu verbessern, die die Freiheit der Meinungsäußerung beschränken.
Say, der unter anderem mit den New Yorker Philharmonikern und dem Berliner Symphonie-Orchester spielte, sagte, er sei „betrübt“ angesichts dieses Schuldspruchs.
„Ich bin sehr enttäuscht darüber, was dies für die Meinungsfreiheit bedeutet. Dass ich verurteilt wurde, obwohl ich keine Straftat begangen habe, macht mir mehr Sorgen um den Zustand der Glaubens- und Meinungsfreiheit als um mich persönlich“, erklärte der Pianist heute gegenüber türkischen Medien.
Gemäß den Bestimmungen des Urteils steht ihm eine Haftstrafe bevor, sollte er erneut wegen derselben Straftat innerhalb der nächsten fünf Jahre schuldig gesprochen werden.
„Diese Verurteilung offenbart die ungerechten türkischen Gesetze, die Menschen, die nur ihre Meinung äußern, der Gefahr aussetzen, Opfer einer missbräuchlichen Anwendung dieser Gesetze zu werden, und beispielsweise inhaftiert zu werden“, sagte Gardner.
„Indem die Regierung mit ihrem vierten Gesetzespaket die notwendigen Reformen nicht angegangen ist, hat sie eine bedeutende Gelegenheit versäumt, das türkische Rechtswesen in Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards zu bringen.“ „Die Regierung sollte ihre Reformagenda noch einmal überdenken und unverzüglich solche Straftaten abschaffen, die dazu dienen, Menschen wie Fazıl Say strafrechtlich zu verfolgen.“
Übersetzung aus dem Englischen durch die Türkei-Koordinationsgruppe. Verbindlich ist das englische Original “Conviction of Turkish pianist sends ‘chilling’ warning to Twitter users” (www.amnesty.org/en/for-media/press-releases/conviction-turkish-pianist-sends-chilling-warning-twitter-users-2013-04-15).