6. Januar 2016 – Die aktuelle Lage in vielen Städten im Südosten der Türkei ist dramatisch: Bei Auseinandersetzungen zwischen dem türkischem Militär und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) werden auch immer wieder Zivilpersonen getötet. Darüber hinaus schneiden Ausgangssperren die Bevölkerung von Grundnahrungsmitteln, Wasser, Strom und medizinischer Versorgung ab. Amnesty International fordert die Türkei auf, alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz von Zivilpersonen zu ergreifen und internationale Menschenrechtsstandards einzuhalten.
Seit dem 14. Dezember 2015 haben sich die Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Militär und der PKK in mehreren Provinzen der Südosttürkei weiter verschärft. Betroffen sind zahlreiche Städte, darunter Cizre, Silopi, Dargeçit, Nusaybin. Das türkische Militär hat in diesen Städten durchgängige Ausgangssperren verhängt. Bereits im September 2015 hatte das türkische Militär in einer ähnlichen Operation eine Ausgangsperre über die Stadt Cizre verhängt. Amnesty forderte schon damals die Regierung dazu auf, den Zugang der Zivilbevölkerung zu Grundversorgung zu gewährleisten und unabhängige Beobachter in die Stadt zu lassen.
Es gibt zahlreiche Berichte über zivile Opfer der Auseinandersetzungen. Da die türkischen Behörden keine unabhängige Beobachtung und Untersuchung der Situation in den betroffenen Gebieten zulassen, ist es sehr schwierig festzustellen, wie viele Zivilpersonen bisher verletzt und getötet wurden.
In der Stadt Dargeçit gilt seit dem 11. Dezember 2015 eine durchgängige Ausgangssperre. Laut Aussage eines lokalen Anwalts sind im Osten der Stadt schätzungsweise 18.000 Menschen von den heftigen Auseinandersetzungen zwischen türkischem Militär und der PKK betroffen. Berichten zufolge gibt es in den betroffenen Stadtteilen weder genug Wasser noch ausreichend Strom. Der Anwalt berichtete Amnesty gegenüber zudem, dass eine Frau, die ihr Haus verlassen hatte, um eine verletzte Person ins Krankenhaus zu bringen, beschossen wurde und dabei eine Hand verlor. Die Frau hatte eine weiße Flagge in der Hand gehalten. In Cizre, Silopi und anderen betroffenen Städten sind die Schulen seit Beginn der Offensive geschlossen.
Berichten zufolge gingen Sicherheitskräfte in Diyarbakır, Van und Şırnak mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Menschen vor, die an Demonstrationen gegen die Ausgangssperren teilgenommen hatten.
Viele Menschen fliehen aus den von den Auseinandersetzungen betroffenen Städten. So haben laut unterschiedlichen Berichten nur 2.000 der ursprünglich 24.000 Bewohner den Stadtteil Sur in Diyarbakır noch nicht verlassen.
Amnesty International fordert das türkische Militär und die türkische Behörden dazu auf,
• den Zugang der Bevölkerung zu Grundversorgung in allen von den Auseinandersetzungen betroffenen Gebieten zu gewährleisten. Die Bewohner müssen jeden Tag ausreichend Zeit haben, um Nahrung und andere Vorräte zu besorgen, und zudem jederzeit Zugang zu medizinischer Notfallversorgung haben. Außerdem müssen die Behörden den Zugang zu Wasser und Strom wiederherstellen.
• sicherzustellen, dass jegliche Einschränkung des Rechts auf Bewegungsfreiheit im Einklang mit bestehenden Gesetzen erfolgt, einem legitimen Zweck dient sowie notwendig und verhältnismäßig ist.
• bei Gewaltanwendung internationale Menschenrechtsstandards einzuhalten. Schusswaffen dürfen nur als letztes Mittel zur Selbstverteidigung oder Verteidigung anderer Menschen eingesetzt werden, wenn eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben besteht.
• eine unabhängige Beobachtung und Berichterstattung über die Situation in Cizre, Silopi, Dargeçit, Sur und Nusaybin zuzulassen.
• umgehend eine wirkungsvolle und unabhängige Untersuchung in allen Fällen einzuleiten, in denen Menschen von Sicherheitskräften getötet wurden.
• die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu achten.