Flüchtling willkürlich inhaftiert

Urgent Action

Inhaltsverzeichnis

Flüchtling willkürlich inhaftiert

Türkei
UA-045/2016, Index: EUR 44/3562/2016, 02. März 2016

Herr M.K., syrischer Flüchtling

Der syrische Flüchtling M.K. befindet sich seit dem 9. November 2015 unter unmenschlichen Bedingungen im Sabiha-Gökçen-Flughafen in Istanbul willkürlich in Haft. Er soll möglicherweise nach Syrien zurückgeführt werden, wo er in Lebensgefahr wäre.
M.K. war im Dezember 2012 von Syrien nach Jordanien geflohen. Im November 2015 entschied er sich dazu, in die Türkei zu reisen, da er dachte, dass er dorthin seine beiden verwaisten Schwestern – zwölfjährige Zwillinge – die noch in Syrien leben, nachholen könnte. Er wurde am 9. November 2015 bei der Ankunft am Sabiha-Gökçen-Flughafen in Istanbul festgenommen und inhaftiert. Am nächsten Tag versuchten die türkischen Behörden, ihn zurück nach Jordanien abzuschieben, mit der Begründung, er habe gefälschte Ausweispapiere. M.K. erklärte jedoch, er wolle in der Türkei Asyl beantragen. Er wurde daraufhin in einen Raum im Flughafen gebracht, in dem er seitdem festgehalten wird.
In dem Raum, in dem M.K. inhaftiert ist, gibt es lediglich künstliches Licht, welches 24 Stunden am Tag eingeschaltet ist. M.K. sagte, er habe die Beamt_innen gebeten, das Licht auszuschalten, aber seiner Bitte sei nicht entsprochen worden. Gegenüber Amnesty International erklärte M.K., seine Augen schmerzten aufgrund des permanenten Lichts und er benötige eine ärztliche Behandlung. Er sagte, er sei im Februar für ungefähr zehn Tage in einen Hungerstreik getreten, um gegen seine Inhaftierung zu protestieren, und er habe keine medizinische Versorgung erhalten, bis er seinen Hungerstreik beendet hatte. Für einen längeren Zeitraum (in diesem Fall seit dem 9. November 2015) in einer solchen Einrichtung festgehalten zu werden, entspricht einer grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung.
Die Inhaftierung von M.K. scheint willkürlich zu sein, da weder das Ausländer- und Asylgesetz der Türkei von 2013 noch die Verordnung zum vorübergehenden Schutzstatus (Temporary Protection Regulation – TPR) aus dem Jahr 2014 eine rechtliche Grundlage bieten.
M.K. sagte, er habe Angst, dass die türkischen Behörden ihn entweder direkt nach Syrien oder aber nach Jordanien abschieben, wo die Gefahr besteht, dass er anschließend nach Syrien zurückgeschoben wird. Er zeigte Amnesty International ein Dokument, das am 8. November 2015 vom jordanischen Innenministerium ausgestellt wurde, in dem steht, dass das Land ihn nicht wieder aufnehmen würde.

SCHREIBEN SIE BITTE

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN
• Bitte lassen Sie M.K. umgehend frei und gewähren Sie ihm vorübergehenden Schutzstatus in der Türkei in Übereinstimmung mit Paragraf 91 des Ausländer- und Asylgesetzes der Türkei.
• Stellen Sie bitte sicher, dass M.K. nicht nach Jordanien oder Syrien abgeschoben wird und er nicht dazu gezwungen wird, “freiwillig” zurückzukehren.
• Bitte sorgen Sie dafür, dass M.K. jegliche medizinische Behandlung erhält, die er benötigt.

APPELLE AN

INNENMINISTER
Mr. Efkan Ala
İçişleri Bakanlığı
Bakanlıklar
Ankara
TÜRKEI
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 90) 312 425 85 09

GENERALDIREKTION FÜR MIGRATIONSSTEUERUNG
Mr. Atilla Toros
Director General, Lalegül Çamlıca Mahallesi 122. Sokak No:2/3 06370
Ankara
TÜRKEI
(Anrede: Dear Director / Sehr geehrter Herr Direktor)
Fax: (00 90) 312 422 09 00
E-Mail: gocidaresi@goc.gov.tr

KOPIEN AN

VORSITZENDER DER MENSCHENRECHTSINSTITUTION
Dr. Hikmet Tülen
İnsan Hakları Başkanı
Türkiye İnsan HaklarıI Kurumu
Yüksel Caddesi No:23 Kat 3
Yenişehir
06650 Ankara
TÜRKEI
Fax: (00 90) 312 422 29 96
E-Mail: tihk@tihk.gov.tr

BOTSCHAFT DER REPUBLIK TÜRKEI
S. E. Herrn Hüseyin Avni Karslioğlu
Tiergartenstr. 19-21
10785 Berlin
Fax: 030-275 90 915
E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Türkisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 13. April 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlungen oder Strafen
Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen oder Strafen sind gemäß zahlreicher Bestimmungen der internationalen Menschenrechtsnormen verboten, darunter das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Dieses Verbot ist zudem in der türkischen Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben.

Verbot willkürlicher Inhaftierung
Willkürliche Inhaftierungen sind gemäß dem Völkerrecht verboten. Dieses Verbot ist in Artikel 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) festgeschrieben, zu dessen Vertragsstaaten die Türkei gehört. Der Begriff “willkürlich” ist hierbei im weitesten Sinne zu verstehen und umfasst auch Aspekte wie Unangemessenheit, Ungerechtigkeit, fehlende Vorhersehbarkeit und fehlendes ordentliches Verfahren sowie Zumutbarkeit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit. Darüber hinaus berechtigt das Prinzip habeas corpus, wie es beispielsweise in Artikel 9 (4) des IPbpR enthalten ist, jeden, dem die Freiheit entzogen wird, ein Verfahren vor einem Gericht zu beantragen. Das Gericht muss unverzüglich über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden und kann eine Freilassung anordnen, falls die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist.
Syrer_innen, die sich in der Türkei befinden, sind Gegenstand der im Oktober 2014 verabschiedeten Verordnung zum vorübergehenden Schutzstatus (Temporary Protection Regulation – TPR). Darin ist in Artikel 5 festgeschrieben, dass Syrer_innen nicht wegen der Einreise ohne Erlaubnis in die Türkei oder des dortigen Aufenthalts ohne Erlaubnis bestraft werden sollten. Weitere Richtlinien des im April 2013 verabschiedeten Ausländer- und Asylgesetzes der Türkei schreiben vor, dass die Verwaltungshaft nur während der Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz zugelassen ist (Paragraf 68) oder bei einer geplanten Abschiebung (Paragraf 57). Keiner dieser Paragrafen sollte jedoch bei syrischen Flüchtlingen angewandt werden, da diese unter dem türkischen Recht keine Antragsteller_innen für “internationalen Schutz” sind und nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden sollten, weil ihnen dort schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen (TPR Artikel 6).

Grundsatz der Nichtzurückweisung
Der Grundpfeiler des internationalen Flüchtlingsschutzes ist der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement). Dieser Grundsatz verbietet es, Personen in irgendeiner Weise in Gebiete zurückzuweisen, in denen ihnen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen – wie es bei Menschen aus Syrien der Fall ist. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung ist in der Genfer Flüchtlingskonvention und in zahlreichen weiteren Menschenrechtsinstrumenten verankert, zu deren Einhaltung die Türkei verpflichtet ist. Verstöße gegen diesen Grundsatz können auf verschiedene Weise erfolgen. Einen direkten Verstoß stellt beispielsweise eine Abschiebung in das Herkunftsland dar. Ein indirekter Verstoß liegt vor, wenn Flüchtlingen z. B. der Zugang zu einem Gebiet oder zu einem fairen und zufriedenstellenden Asylverfahren verwehrt wird. Auch das Ausüben von Druck auf Flüchtlinge, um diese zu einer Rückkehr in ein Gebiet zu zwingen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheiten gefährdet sind, stellt einen indirekten Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung dar. Dieses Vorgehen ist als faktisches Refoulement bekannt und gemäß dem Völkerrecht verboten, welches bindend für die Türkei ist.

Willkürliche Inhaftierung von Asylsuchenden in der Türkei
In den vergangenen Monaten hat Amnesty International auch vor dem Hintergrund, dass die EU in der Flüchtlingsfrage eine verstärkte Partnerschaft mit der Türkei anstrebt, Bedenken über den offensichtlichen Anstieg der Inhaftierungen von Flüchtlingen und Asylsuchenden durch die türkischen Behörden geäußert. In der Urgent Action UA-282/2015, die am 7. Dezember 2015 veröffentlicht wurde, geht es beispielsweise um den Fall eines anderen syrischen Flüchtlings (F.M.), der seit März 2015 unter unmenschlichen Bedingungen am Atatürk-Flughafen in Istanbul inhaftiert ist (http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-282-2015/fluechtling-gefahr).

PLEASE WRITE IMMEDIATELY
• Calling on the Turkish authorities to immediately release M.K. from detention and grant him Temporary Protection Status in Turkey, under Article 91 of the Law on Foreigners and International Protection.
• Urging them to ensure that M.K. is not returned to Jordan or Syria – or pressured to return “voluntarily”.
• Calling on them to ensure that M.K. receives any medical care he may require ‏‎