KDV Osman Murat Ülke

Amnesty International

Urgent Action

UA-Nr: UA-186/2007; AI-Index: EUR 44/015/2007

Datum: 19.07.2007

KRIEGSDIENSTVERWEIGERER AUS GEWISSENSGRÜNDEN

Türkei: Osman Murat Ülke

Osman Murat Ülke, der bereits in der Vergangenheit insgesamt fast zwei Jahre in Haft verbracht hat, weil er sich aus Gewissensgründen weigerte, den Militärdienst abzuleisten, ist angewiesen worden, sich bei der Militärstaatsanwaltschaft zu melden, um eine weitere Freiheitsstrafe von 17einhalb Monaten zu verbüßen. Sollte er tatsächlich inhaftiert werden, würde amnesty international ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen betrachten.

Osman Murat Ülke war der erste Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen in der Türkei und wurde deswegen im Januar 1997 zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. In der Zeit von März 1997 bis November 1998 wurde er wegen „wiederholter Befehlsverweigerung“ acht Mal schuldig gesprochen, weil er sich weigerte, eine Militäruniform anzuziehen. Zwei weitere Schuldsprüche ergingen wegen Fahnenflucht gegen ihn, als er sich nicht zu seinem Regiment begeben hatte.

Am 14. Juni 2007 wurde Osman Murat Ülke eine Verfügung zugestellt, der zufolge er sich binnen zehn Tagen bei der Militärstaatsanwaltschaft in der nordwestlichen Stadt Eskişehir zu melden hat, um eine Haftstrafe von 17 Monaten und 15 Tagen anzutreten, die sich auf seine vorangegangenen Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gründet.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befand am 24. Januar 2006 einstimmig., dass die wiederholte Strafverfolgung von Osman Murat Ülke und die Schuldsprüche gegen ihn, die in seiner Inhaftierung wegen „wiederholter Befehlsverweigerung“ und „Fahnenflucht“ münden sollen, einen Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, demzufolge eine „erniedrigende Strafe oder Behandlung“ verboten ist. Weiter heißt es in dem Urteil des Gerichts, dass „das Leben im Verborgenen, das fast einem „zivilen Tod“ gleichkommt, welches der Beschwerdeführer (aufgrund wiederholter Verfolgung) führen muss, unvereinbar ist mit den Strafmaßnahmen einer demokratischen Gesellschaft“.

Osman Murat Ülke wurde mehrmals wegen desselben Vergehens verurteilt und in Haft genommen. Deshalb kam die UN-Arbeitsgruppe zu willkürlichen Inhaftierungen in ihrer Stellungnahme 36/1999 bezüglich des Falls von Osman Murat Ülke zu dem Schluss, dass seine wiederholte Weigerung, den Militärdienst abzuleisten, „ein und dieselbe Handlung war, welche die gleichen Konsequenzen nach sich zog, sodass das Vergehen jeweils das gleiche und kein neues ist“.

Das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes vom Januar 2006 wurde viermal vom Ministerkomitee des Europarates erörtert, der im Februar 2007 „missbilligte, dass die türkischen Behörden bislang keine Maßnahmen umgesetzt haben, um die vom Gericht festgestellten Verletzungen zu beenden. Nach wie vor liegt gegen den Beschwerdeführer ein Haftbefehl vor, dessen Vollstreckung ansteht“. Laut den Anwälten von Osman Murat Ülke ist die jüngste Aufforderung der Militärstaatsanwaltschaft von Eskişehir zum Antreten der Haftstrafe auf das Versäumnis der Regierung zurückzuführen, das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes allen zuständigen Behörden einschließlich des Generalstabs der türkischen Streitkräfte zukommen zu lassen, wie es das Ministerkomitee des Europarates gefordert hatte.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Ein 15-monatiger Militärdienst ist in der Türkei für alle Männer von 19 bis 40 Jahren zwingend vorgeschrieben. Der Anspruch auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist in dem Land rechtlich nicht anerkannt, und es gibt keinen alternativen Zivildienst für Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.

Gemäß internationalen Menschenrechtsstandards ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkannt. In einer Empfehlung des Ministerkomitees an den Europarat heißt es: „Jeder Wehrpflichtige, der aus zwingenden Gewissensgründen den Gebrauch von Waffen ablehnt, soll das Recht haben, unter den im Folgenden aufgeführten Bedingungen von der Verpflichtung, einen solchen Dienst leisten zu müssen, freigestellt zu werden. Solche Personen können verpflichtet werden, einen Ersatzdienst zu leisten.“ (Empfehlung R (87) 8 des Ministerkomitees an die Mitgliedsstaaten betreffend die Verweigerung der Militärdienstpflicht vom 9. April 1987). In den vergangenen Jahren gab es in der Türkei ein kleine Zahl von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen, die öffentlich ihre Ablehnung des Militärdienstes kundgetan haben. Sie müssen für gewöhnlich mit Strafverfolgungsmaßnahmen rechnen, und ihnen drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Nach Verbüßen ihrer Haftstrafe erhalten sie oft neue Einberufungsbefehle, und die Prozedur wiederholt sich erneut, wie im Fall von Osman Murat Ülke geschehen ist.

EMPFOHLENE AKTIONEN:

Schreiben Sie bitte Telefaxe oder Luftpostbriefe, in denen Sie
darauf dringen, dass die jüngste Verfügung der Militärstaatsanwaltschaft von Eskişehir umgehend zurückgenommen wird;
die Behörden auffordern, dafür Sorge zu tragen, dass Osman Murat Ülke nicht ein weiteres Mal allein aufgrund seiner Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in Haft genommen wird;
an die Behörden appellieren, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 24. Januar 2007 in der Türkei veröffentlicht und ohne Verzug an alle davon betroffenen Behörden einschließlich des Generalstabes der Streitkräfte weitergeleitet wird;
die Behörden drängen, im Zuge von Gesetzesreformen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen anzuerkennen und im Land juristisch zu verankern;
die Behörden auffordern, die Praxis einzustellen, ein und dieselbe Person mehr als einmal wegen desselben Vergehens strafrechtlich zu verfolgen.

APPELLE AN:

Mr Abdullah Gül, Minister for Foreign Affairs, Ministry of Foreign Affairs, Disisleri Bakanliği, 06100 Ankara, TÜRKEI
(Außenminister – korrekte englische Anrede: Dear Minister)
Telefax: (0090) 312-287 8811

Mr Vecdi Gönül, Minister of Defence, Ministry of Defence, Milli Savunma Bakanlığı, 06100 Ankara, TÜRKEI
(Verteidigungsminister – korrekte englische Anrede: Dear Minister)
Telefax: (00 90) 312-417 0476

KOPIEN AN:

Mr Fahri Kasırga, Minister of Justice, Ministry of Justice, Adalet Bakanlığı, 06659 Kızılay, Ankara, TÜRKEI (Justizminister)
Telefax: (00 90) 312-418 4119

Eskişehir HKK, 1. Hava KK, Askeri Savcılığı, Eskişehir, TÜRKEI
(Militärstaatsanwaltschaft in Eskişehir)
Telefax: (00 90) 222-237 5928

Botschaft der Republik Türkei, Rungestraße 9, 10179 Berlin
(S. E. Herrn Mehmet Ali Irtemcelik)
Telefax: 030-2759 0915
E-Mail: turk.em.berlin@t-online.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 30. August 2007 keine Appelle mehr zu verschicken.

RECOMMENDED ACTION:

Please send appeals to arrive as quickly as possible, in English or your own language:
– urging the authorities to ensure that the latest decision of the military prosecutor’s office in Eskişehir is revoked immediately;
– calling on them to ensure that Osman Murat Ülke is not imprisoned yet again solely on the basis of his conscientiously-held beliefs;
– urging them to ensure that the judgment of the European Court of Human Rights of 24 January 2006 is published and distributed immediately to all relevant authorities, including the General Staff;
– urging them to introduce legislative reform to ensure that the right to conscientious objection is recognized in Turkey;
– urging them to put an end to the practice of trying the same person for the same crime more than once.