Ahmet Altan erneut in Haft

TÜRKEI UA-Nr UA-166/2019 AI-Index EUR 44/1474/2019

Der türkische Schriftsteller Ahmet Altan.

Nur eine Woche nach seiner Freilassung aus über drei Jahren Untersuchungshaft entschied ein Gericht in Istanbul am 12. November, den bekannten Schriftsteller und früheren Journalisten Ahmet Altan erneut zu inhaftieren. Ahmet Altan ist ein gewaltloser politischer Gefangener und muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Appell an:

Justizminister
Abdülhamit Gül
Adalet Bakanlığı
06659 Ankara
TÜRKEI

Bitte abschicken bis: 08.01.2020

 

Sende eine Kopie an:

Botschaft der Republik Türkei
S. E. Herrn Ali Kemal Aydin
Tiergartenstr. 19-21
10785 Berlin
Fax: 030-275 90 915
E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr

 

Amnesty fordert:

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Ahmet Altan umgehend und bedingungslos freigelassen wird, da er ein gewaltloser politischer Gefangener ist, der allein wegen der Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert wurde.

Musterbriefe und Online-Teilnahme

Urgent Action auf amnesty.de

(Die Online-Teilnahme erfordert eine Registrierung)

Sachlage

Nach mehr als drei Jahren im Gefängnis hatte ein türkisches Gericht Ahmet Altan am 4. November unter Auflagen freigelassen. Nur acht Tage später wurde er erneut inhaftiert. Der Autor war erstmals im September 2016 festgenommen worden, da ihm vorgeworfen wurde, den Putschversuch 2016 unterstützt zu haben. Diese Anschuldigung basierte ausschließlich auf seiner regierungskritischen, journalistischen Arbeit sowie Kontakten zu vermeintlichen Anhänger_innen des islamischen Predigers Fethullah Gülen, den die türkische Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht. Am 16. Februar 2018 wurde Ahmet Altan wegen des Vorwurfs, „die verfassungsmäßige Ordnung umstürzen zu wollen“ zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne die Möglichkeit einer Entlassung auf Bewährung verurteilt – trotz mangelnder Beweise für irgendeine international als Straftat anerkannte Handlung. Ahmet Altan legte Rechtsmittel gegen das Urteil ein und am 5. Juli 2019 hob das Oberste Berufungsgericht den Schuldspruch wieder auf und ordnete ein Wiederaufnahmeverfahren an. Am 4. November 2019 verurteilte das Gericht für schwere Strafsachen Nr. 26 in Istanbul Ahmet Altan erneut und setzte ein Strafmaß von zehneinhalb Jahren Haft an. Grundlage waren dieselben „Beweise“, die bereits im ersten Verfahren zu seiner Verurteilung geführt hatten: seine regierungskritischen Veröffentlichungen. Das Gericht verfügte, dass Ahmet Altan bis zum Urteil im Rechtsmittelverfahren unter Auflagen – wie einem Reiseverbot ins Ausland – freigelassen wird.
Daraufhin legte die Staatsanwaltschaft am 6. November Rechtsmittel gegen Ahmet Altans Freilassung ein. Es bestehe ein Fluchtrisiko und außerdem zeige der Schriftsteller keine Reue. Ahmet Altan erfuhr durch regierungsnahe Medien von der Entscheidung des Gerichts, ihn erneut zu inhaftieren. Dass er trotzdem zuhause blieb, wo er auch wieder festgenommen wurde, belegt, dass er nicht die Absicht hatte, zu fliehen. Die Staatsanwaltschaft konnte nie glaubwürdige Beweise gegen Ahmet Altan vorlegen. Er selbst hat die Vorwürfe gegen sich immer zurückgewiesen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am Abend des 15. Juli 2016 versuchten Teile der türkischen Streitkräfte mit Waffengewalt, die Regierung zu stürzen. Doch der Putschversuch wurde schnell niedergeschlagen. Tausende Menschen protestierten auf den Straßen dagegen und die Putschisten wurden von Sicherheitskräften überwältigt. In einer Nacht voller Gewalt wurden Hunderte getötet und Tausende verletzt. Unmittelbar nach dem gescheiterten Staatsstreich beschuldigte die Regierung den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen und seine Anhänger_innen, sich zum Sturz der Regierung verschworen zu haben. Die religiöse Gülen-Bewegung wird von den türkischen Behörden als terroristische Organisation eingestuft. Am 20. Juli 2016 rief die Regierung den Ausnahmezustand aus, der zwei Jahre lang in Kraft blieb. Es folgte eine massive Verhaftungswelle gegen Journalist_innen, Schriftsteller_innen, Richter_innen, Staatsanwält_innen sowie vermeintliche und tatsächliche Kritiker_innen der Regierungspartei AKP.

Ahmet Altan und sein Bruder Mehmet Altan nahmen am 14. Juli – dem Vorabend des Putsches – an einer Live-Fernsehsendung mit der Moderatorin Nazlı Ilıcak teil. Während der Sendung diskutierten sie auch über türkische Politik. Anschließend wurden alle drei unter dem Vorwurf festgenommen, in der Sendung „unterschwellige Botschaften“ über den bevorstehenden Putsch verbreitet zu haben. Nazlı Ilıcak kam Ende Juli, Ahmet Altan und Mehmet Altan kamen im September 2016 in Untersuchungshaft. Ahmet Altan, Mehmet Altan, Nazlı Ilıcak und drei weitere Angeklagte wurden dann im Februar 2018 wegen des Vorwurfs, „die verfassungsmäßige Ordnung umstürzen zu wollen“ zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne die Möglichkeit einer Bewährung verurteilt. Als das Oberste Berufungsgericht die Schuldsprüche im Juli 2019 aufhob, wurde ein neues Verfahren gegen fünf der Angeklagten eingeleitet. Mehmet Altan wurde dagegen freigesprochen.

Am 4. November 2019 wurden mithilfe der Anklage „Unterstützung einer terroristischen Organisation, ohne deren Mitglied zu sein“ Ahmet Altan zu zehneinhalb Jahren und die Journalistin Nazlı Ilıcak zu acht Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Beide wurden bis zum Urteil in ihrem Rechtsmittelverfahren vor dem Strafgericht für schwere Strafsachen Nr. 26 in Istanbul freigelassen und mit einem Reiseverbot belegt. Das Gericht sprach in dem unfairen Verfahren drei weitere Personen schuldig, darunter zwei Medienschaffende, und entschied, dass sie in Untersuchungshaft bleiben müssten.
Die Staatsanwaltschaft legte am 6. November 2019 Rechtsmittel gegen Ahmet Altans Freilassung ein. Am 8. November wies das Gericht für schwere Strafsachen Nr. 26 in Istanbul den Antrag des Staatsanwalts zurück, Ahmet Altan erneut in Haft zu nehmen und verwies die Strafsache an das Gericht für schwere Strafsachen Nr. 27. Dieses Gericht akzeptierte das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft am 12. November. Ahmet Altan und sein Rechtsbeistand erfuhren nicht direkt von dieser Entscheidung des Gerichts, sondern durch regierungsnahe Medien. Noch am gleichen Abend wurde Ahmet Altan zuhause in Istanbul festgenommen und in Polizeigewahrsam überstellt.

Die erneute Festnahme von Ahmet Altan scheint politisch motiviert, willkürlich und unvereinbar mit dem Recht auf Freiheit nach Paragraf 5 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu sein, der jeden willkürlichen Freiheitsentzug verbietet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte fest, dass vorsätzliche Handlungen der Behörden zu Willkür führen können. Die erneute Inhaftierung von Ahmet Altan verstößt eklatant gegen seine Rechte.