Weiterhin rechtswidrige Abschiebungen nach Syrien

TÜRKEI UA-Nr: UA-128/2019-1 AI-Index: EUR 44/1436/2019

Bereits im vergangenen Jahr mussten Menschen in Nordsyrien vor einer türkischen Militäroffensive flüchten, so wie hier im März 2018 in der Stadt Afrin.

Syrische Flüchtlinge sind nach wie vor von Abschiebungen aus der Türkei nach Syrien bedroht. Gleichzeitig planen die türkischen Behörden, eine große Zahl von ihnen in eine sogenannte „Sicherheitszone“ in Nordsyrien umzusiedeln. Dieses Gebiet ist eine aktive Konfliktzone – was nicht zuletzt die aktuellste türkische Militäroffensive in Nordostsyrien im Oktober 2019 belegt.

Appell an:

Süleyman Soylu

Ministry of the Interior

Devlet Mahallesi

T.C. İçişleri Bakanlığı

06580 Çankaya/Ankara

TÜRKEI

Bitte abschicken bis: 26.12.2019

 

Sende eine Kopie an:

Botschaft der Republik Türkei
S. E. Herrn Ali Kemal Aydın
Tiergartenstr. 19-21
10785 Berlin
Fax: 030-275 90 915
E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr

 

Amnesty fordert:

  • Stellen Sie bitte unverzüglich die rechtswidrigen Abschiebungen syrischer Flüchtlinge ein.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass syrische Flüchtlinge, deren Ausweispapiere abgelaufen sind oder annulliert wurden, diese neu beantragen können.
  • Untersuchen Sie umgehend alle Vorwürfe über erzwungene Abschiebungen, da Syrien kein sicheres Land ist und den Betroffenen dort schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
  • Außerdem fordere ich Sie dazu auf, alle Pläne zur Umsiedlung syrischer Flüchtlinge in die sogenannte „Schutzzone“ in Nordsyrien einzustellen.

Musterbriefe und Online-Teilnahme

Urgent Action auf amnesty.de

(Die Online-Teilnahme erfordert eine Registrierung)

Sachlage

Die Behandlung syrischer Flüchtlinge in der Türkei gibt Anlass zu großer Sorge. Langjährige Pläne zu einer rechtswidrigen Umsiedlung einer großen Zahl von ihnen in eine sogenannte „Sicherheitszone“ in Nordsyrien scheinen vor ihrer Umsetzung zu stehen.

Die Türkei ist derzeit das Land mit den meisten Flüchtlingen weltweit: ungefähr 4 Millionen. Diese hohe Zahl entbindet die türkische Regierung jedoch nicht von ihrer Pflicht, sich an das Völkerrecht zu halten und alle Personen unter ihrer Hoheitsgewalt zu schützen – das gilt auch für syrische Flüchtlinge.

Am 25. Oktober 2019 veröffentlichte Amnesty International den neuen Bericht Sent to a war zone: Turkey’s illegal deportations of Syrian refugees (vgl. https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/tuerkei-tuerkei-fluec…). Darin ist dokumentiert, wie Mitte 2019 in der ganzen Türkei Hunderte syrische Flüchtlinge aufgegriffen, festgenommen und gegen ihren Willen abgeschoben wurden. In der Regel waren sie zuvor hinters Licht geführt oder dazu gezwungen worden, Dokumente zu unterschreiben, die belegen sollten, dass sie selbst ihre Rückkehr nach Syrien gefordert hätten. Einige derjenigen die es schafften, in die Türkei zurückzukehren, berichteten Amnesty International, dass sie nach ihrer Wiedereinreise herausfanden, dass ihre Ausweisdokumente annulliert worden waren. Ohne gültige Ausweisdokumente erhalten syrische Staatsbürger_innen jedoch keinen Zugang zu grundlegenden Leistungen und das Risiko einer (erneuten) Abschiebung ist hoch. Eine Verlängerung der Papiere nach ihrer Annullierung wird offenbar nicht ermöglicht, obwohl diese nach türkischem Recht zulässig wäre. Syrischen Flüchtlingen stehen oft keine Rechtsmittel zur Verfügung, um sich gegen eine Abschiebung schützen zu können.

Außerdem planen die türkischen Behörden seit langem, eine große Zahl syrischer Flüchtlinge nach Nordsyrien umzusiedeln. Dafür behaupten sie fälschlicherweise, dass dieses Gebiet sicher sei. Doch Syrien ist nach wie vor eines der gefährlichsten Länder der Welt. Das unterstreicht auch die jüngste Militäroffensive in Nordostsyrien, die die türkische Regierung am 9. Oktober 2019 begann: Die Kampfhandlungen zwangen mindestens 160.000 Personen zur Flucht.

Abschiebungen nach Syrien verstoßen gegen den völkerrechtlichen Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (non-refoulement), da dort das Risiko extrem hoch ist, Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen zu werden.

Hintergrundinformation

Über 3,6 Millionen der 4 Millionen Geflüchteten in der Türkei stammen aus Syrien. Theoretisch erhalten alle syrischen Staatsangehörigen in der Türkei „vorübergehenden Schutzstatus“, doch sie müssen sich hierzu registrieren und entsprechende Ausweisdokumente ausstellen lassen. Sie erhalten dann Zugang zu grundlegenden Leistungen wie z. B. in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Die türkischen Behörden haben für die Aufnahme dieser Flüchtlinge Milliarden Euro aufgewendet und hierfür auch Unterstützung von der Europäischen Union (EU) erhalten.

Trotz gegenteiliger Behauptungen seitens der Türkei und der EU ist die Türkei kein sicheres Land für Flüchtlinge und Asylsuchende. Amnesty International und anderen Organisationen wurden glaubwürdige und konsistente Nachweise darüber vorgelegt, dass zwischen 2014 und 2018 und erneut Mitte 2019 Abschiebungen aus der Türkei nach Syrien vorgenommen wurden. Die Abschiebung in ein Land, in dem der betreffenden Person schwere Menschenrechtsverletzungen drohen (Refoulement), ist sowohl nach türkischem Recht als auch in völkerrechtlichen Verträgen, die von der Türkei unterzeichnet wurden, verboten.

Derzeit sind alle Abschiebungen nach Syrien aufgrund der unsicheren Menschenrechtslage rechtswidrig. Der dortige bewaffnete Konflikt hat seit 2011 ein kaum zu messendes Ausmaß an Zerstörung angerichtet und Millionen Menschen aus ihrem Zuhause vertrieben: Davon sind 5,6 Millionen ins Ausland geflohen, außerdem gibt es mehr als 6 Millionen Binnenflüchtlinge. Der UN-Generalsekretär António Guterres sprach im September 2019 mit Blick auf die Situation in der Region Idlib in Nordwestsyrien von einem „humanitären Albtraum“. Zuvor waren 3 Millionen Syrer_innen aus anderen Landesteilen dorthin geflohen. Amnesty International hat im Zeitraum zwischen Januar und Juni 2019 zahlreiche rechtswidrige Angriffe auf Idlib durch syrische Regierungstruppen dokumentiert. Unterstützt von Russland griffen diese Krankenhäuser, Schulen, Bäckereien und Wohngebäude an.