Fethiye Cetin: Klima eines aggressiven Nationalismus
Ein Gespräch mit Fethiye Çetin, Anwältin der Familie des vor einem Jahr ermordeten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink.
Wie hat sich die Menschenrechtslage in der Türkei seit dem Mord an Hrant Dink im Januar 2007 entwickelt?
Das Klima eines aggressiven Nationalismus hat sich deutlich verstärkt. Der Mord an Hrant Dink war ein Ausdruck davon. Seitdem hält diese gesellschaftliche Stimmung weiter an. Die Türkei verfolgt seit der Gründung der Republik eine sehr repressive Politik gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten. In der letzten Zeit haben aber die Aggressionen innerhalb der Gesellschaft deutlich zugenommen. Es wird Feindschaft und Hass geschürt gegen alle, die »anders« sind – die eine andere Meinung haben, die einer anderen ethnischen Gruppe oder Religion angehören.
Wie äußert sich dieser Nationalismus?
Menschen, die sich für eine differenzierte Sichtweise einsetzen und zum Beispiel dazu aufrufen, zwischen der PKK und den Kurden zu differenzieren, werden zum Schweigen gebracht. Auch gegen Christen wird Stimmung gemacht, gegen die Armenier werden die bekannten Vorurteile geschürt. Das geht so weit, dass viele Menschen Angst um ihr Leben haben. Es gibt konkrete Drohungen gegen einzelne Personen. Wer aufgrund des Artikels 301 »Verunglimpfung des Türkentums« angeklagt ist, wird öffentlich zur Zielscheibe erklärt und erhält Todesdrohungen. So war es bei Hrant Dink und ebenso bei Orhan Pamuk und Elif Safak. Nach dem Mord an Hrant Dink musste der Staat reagieren: Bei ernsthaften Morddrohungen erhalten die Personen nun zwar Personenschutz, an ihrer Verfolgung durch den Staat mit den Mitteln der Justiz hat sich jedoch nichts geändert.
Die Strafverfolgung aufgrund von Meinungsäußerungen ist also nicht zurückgegangen?
Nein, im Gegenteil, die Zahl der Verfahren hat zugenommen. Allein in den letzten drei Monaten, zwischen September und November 2007, wurden 125 neue Verfahren nach Artikel 301 eröffnet. Aber das ist nicht der einzige Artikel, der als Instrument zur Verfolgung anderer Meinungen benutzt wird. Der Artikel 216 stellt zum Beispiel den Aufruf zu Hass und Feindschaft sowie die Verunglimpfung von Menschen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, Rasse oder Religion unter Strafe. Angewandt wird er jedoch nicht gegen diejenigen, die rassistische Hetze und Drohungen verbreiten, sondern gerade gegen die Minderheiten, die Opfer dieser Hetze sind. In einem einzigen Fall wurde mit viel öffentlichem Druck erreicht, dass auch ein Verfahren nach Artikel 301 gegen einen Sänger eröffnet wurde, der in einem Lied den Mord an Hrant Dink als gute Tat dargestellt hatte.
In den letzten Wochen wurde erneut über eine Änderung des Artikel 301 diskutiert. Gibt es die Hoffnung, dass sich etwas bewegt?
Ich habe keine großen Hoffnungen. Bei den Vorschlägen geht es darum, die Höchststrafe von drei auf zwei Jahre zu reduzieren. Und statt »Verunglimpfung des Türkentums« soll nun die »Verunglimpfung der türkischen Nation« unter Strafe gestellt werden. Eine freie Meinungsäußerung wird damit weiterhin nicht möglich sein.
Die türkische Regierung beruft sich darauf, dass es ähnliche Strafrechtsartikel auch in westeuropäischen Staaten gibt.
Auch wenn es dort Gesetze gibt, die die Beleidigung staatlicher Institutionen unter Strafe stellen, werden sie dort offensichtlich nicht so interpretiert wie in der Türkei. Als Beispiel für die willkürliche Anwendung möchte ich die Verurteilung von Arat Dink und Sarkis Saropyan, den Chefredakteur und den verantwortlichen Direktor der von Hrant Dink begründeten Zeitung »Agos« anführen. Beide wurden nach Artikel 301 angeklagt und im Oktober 2007 zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt, weil sie im Juli 2006 eine Nachricht über ein Verfahren gegen Hrant Dink veröffentlicht hatten, die auch in fast allen anderen türkischen Medien erschienen war.
Hrant Dink war damals wegen »Verunglimpfung des Türkentums« angeklagt worden, weil er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters auf Nachfrage erklärt hatte, er würde die Ereignisse aus den Jahren 1915/16 als Völkermord an den Armeniern definieren. Die Verantwortlichen von »Agos« wurden als einzige angeklagt, obwohl sich ihr Bericht nicht von denen anderer Medien unterschied. In dem Urteil führte das Gericht seitenlang aus, dass die Einstufung als Völkermord unberechtigt sei und als Kampfinstrument gegen die Türkei verwendet werde. Das Gericht erhob sich also zur Schiedsinstanz über historische Ereignisse und machte damit gleichzeitig deutlich, dass es eine unerwünschte Meinung verurteilte – obwohl aus dem Artikel nicht einmal hervorging, ob die Angeklagten diese Meinung teilten oder nicht. In dem Strafmaß ging das Gericht sogar über die untere Grenze von sechs Monaten hinaus und begründete dies mit den »Absichten und der Persönlichkeit« der Angeklagten.
Wie beurteilen Sie den Verlauf des Prozesses gegen die Mörder von Hrant Dink?
Im Gegensatz zu vielen Fällen von politischen Morden in der Vergangenheit, wurden in diesem Fall die unmittelbaren Täter sehr schnell gefasst und ein Verfahren eröffnet. Angeklagt wurden jedoch nur der 17-jährige Todesschütze und einige Personen aus seinem näheren Umfeld, die an der Planung der Tat beteiligt waren. Dabei handelte es sich um junge Männer aus armen Verhältnissen aus einer Kleinstadt in der Provinz Trabzon. Aber wenn man die ganze Situation betrachtet, ist klar, dass es noch viel mehr Akteure gibt.
Wer war noch an dem Mord beteiligt?
Die Tat wurde über längere Zeit vorbereitet. Polizei und Gendarmerie haben von den Plänen gewusst, aber nichts unternommen. Es gab enge Verbindungen zu einer politischen Partei und deren Jugendorganisationen. Wenn diese Kontakte nicht aufgeklärt und auf unabhängige Weise untersucht werden, kann man die wahren Hintergründe des Mordes nie herausfinden. So haben Polizisten nach der Verhaftung den Täter quasi als Helden gefeiert. Unmittelbar vor dem Mord hatte einer der Angeklagten mit einem Polizisten telefoniert und ausführlich über die Mordpläne gesprochen. Obwohl dieses Gespräch abgehört wurde und eine Aufzeichnung vorliegt, konnten wir erst durch massiven öffentlichen Druck erreichen, dass auch gegen diesen Polizisten Ermittlungen eingeleitet wurden.
Darüber hinaus wurden ganz offensichtlich Beweismittel vernichtet: Das Büro von »Agos«, vor dem der Mord verübt wurde, liegt an einer belebten Straße mit vielen Geschäftshäusern und Banken, in der näheren Umgebung sind zahlreiche Videokameras installiert. Aber ausgerechnet an dem Vormittag als der Mord geschah sind angeblich alle Kameras ausgefallen, sodass keine Aufzeichnungen existieren.
Sie haben ein Buch über das Schicksal ihrer armenischen Großmutter veröffentlicht, das in der Türkei für viel Aufsehen gesorgt hat. Werden Sie selbst auch bedroht?
Direkte persönliche Drohungen habe ich bisher nicht erhalten. Auf den Internetseiten, auf denen gegen die »Feinde der Türkei« gehetzt wird, ist aber auch mein Name aufgeführt. Die Reaktionen auf mein Buch, das ja schon im Jahr 2004 erschienen ist, waren zu meiner eigenen Überraschung durchweg positiv. Viele Menschen haben mir geschrieben, wie sehr sie davon betroffen waren. Und einige Leser fühlten sich durch mein Buch sogar ermutigt, Nachforschungen über ihre eigene Vergangenheit anzustellen.
Interview: Amke Dietert, Türkei-Expertin von ai.
Fethiye Cetin
Die Anwältin des am 19. Januar 2007 ermordeten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink vertritt dessen Familie als Nebenklägerin in dem Mordprozess. Zudem verteidigt sie Arat Dink, den Sohn von Hrant Dink, dem ebenfalls wegen »Verunglimpfung des Türkentums« der Prozess gemacht wird. Im November 2007 war Fethiye Çetin auf Einladung von amnesty international in Berlin.