Am 25. April wurde Osman Kavala, eine der führenden Persönlichkeiten der türkischen Zivilgesellschaft, der sich seit November 2017 in Untersuchungshaft befindet, wegen des “versuchten Umsturzes der Regierung” zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen verurteilt. Seine sieben Mitangeklagten, die wegen Beihilfe angeklagt wurden, erhielten jeweils eine Haftstrafe von 18 Jahren und wurden unverzüglich ins Gefängnis überstellt. Amnesty fordert den Generalstaatsanwalt des regionalen Berufungsgerichts Istanbul auf, alle Anträge von Osman Kavala, Mücella Yapıcı, Çiğdem Mater, Mine Özerden, Can Atalay, Tayfun Kahraman und Hakan Altınay, die derzeit aus dem Gefängnis heraus Rechtsmittel gegen ihre ungerechtfertigten Verurteilungen einlegen, zu unterstützen und nicht abzulehnen.
Online-Teilnahme (erfordert Registrierung): https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/tuerkei-kavala-und-mitangeklagte-freilassen-2022-04-29
Teilnahme per Brief oder email, Textvorschlag:
Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt,
Osman Kavala, Mücella Yapıcı, Çiğdem Mater, Mine Özerden, Can Atalay, Tayfun Kahraman und Hakan Altınay wurden am 25. April im Rahmen des sogenannten “Gezi-Prozesses” zu Haftstrafen verurteilt. Osman Kavala sitzt bereits seit mehr als viereinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Mit den Schuldsprüchen ordnete das Gericht auch die Inhaftierung sechs weiterer Angeklagter an. Für Yiğit Ali Ekmekçi, den achten Angeklagten, wurde ein Haftbefehl ausgestellt.
Osman Kavala wurde wegen des “versuchten Umsturzes der Regierung” zu einer lebenslangen Haftstrafe unter erschwerten Bedingungen verurteilt. Von der Anklage wegen “politischer und militärischer Spionage”, für die er bereits seit Februar 2020 in Untersuchungshaft sitzt, wurde er freigesprochen. Der Freispruch erfolgte “aus Mangel an Beweisen”, nachdem er zusammen mit den anderen sieben Angeklagten bereits im ersten Prozess freigesprochen worden war.
Die anderen sieben Angeklagten wurden wegen der mutmaßlichen Beihilfe für Osman Kavala zu je 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht ordnete ihre sofortige Inhaftierung an, da Fluchtgefahr bestünde.
Während des gesamten ersten und zweiten Prozesses hatte die Staatsanwaltschaft keine Beweise für die Schuld der Angeklagten an den erhobenen Vorwürfen vorlegen können. Diese Tatsache wurde in der Urteilsbegründung von einem der drei Richter anerkannt, der in einem abweichenden Votum für einen Freispruch durch das Gericht optierte, “weil es keine konkreten, sicheren und glaubwürdigen Beweise gibt, die ihre Schuld über jeden vernünftigen Zweifel hinaus beweisen würden”.
Hiermit bitte ich Sie, die Anträge der sieben Angeklagten, sie bis zur Entscheidung über die von ihnen eingelegten Rechtsmittel freizulassen, zu unterstützen und nicht abzulehnen.
Mit freundlichen Grüßen
Appell an
Staatsanwalt
Metin Sarıhan
Cumhuriyet Başsavcısı
Istanbul Bölge Adliye Mahkemesi
Orhantepe Mah. Üsküdar Cad. No:236/A
Kartal Istanbul /
TÜRKEI
Sende eine Kopie an
Botschaft der Republik Türkei
S.E. Herrn Ahmet Başar Şen
Tiergartenstr. 19–21
10785 Berlin
Fax: 030– 2759 0915
E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr
Bitte abschicken bis: 24.06.2022
Amnesty fordert:
- Hiermit bitte ich Sie, die Anträge der sieben Angeklagten, sie bis zur Entscheidung über die von ihnen eingelegten Rechtsmittel freizulassen, zu unterstützen und nicht abzulehnen.
Sachlage
Osman Kavala, Mücella Yapıcı, Çiğdem Mater, Mine Özerden, Can Atalay, Tayfun Kahraman und Hakan Altınay wurden am 25. April im Rahmen des sogenannten “Gezi-Prozesses” zu Haftstrafen verurteilt. Osman Kavala sitzt bereits seit mehr als viereinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Mit den Schuldsprüchen ordnete das Gericht auch die Inhaftierung sechs weiterer Angeklagter an. Für Yiğit Ali Ekmekçi, den achten Angeklagten, wurde ein Haftbefehl ausgestellt.
Osman Kavala wurde wegen des “versuchten Umsturzes der Regierung” zu einer lebenslangen Haftstrafe unter erschwerten Bedingungen verurteilt. Von der Anklage wegen “politischer und militärischer Spionage”, für die er bereits seit Februar 2020 in Untersuchungshaft sitzt, wurde er freigesprochen. Der Freispruch erfolgte “aus Mangel an Beweisen”, nachdem er zusammen mit den anderen sieben Angeklagten bereits im ersten Prozess freigesprochen worden war.
Die anderen sieben Angeklagten wurden wegen der mutmaßlichen Beihilfe für Osman Kavala zu je 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht ordnete ihre sofortige Inhaftierung an, da Fluchtgefahr bestünde.
Während des gesamten ersten und zweiten Prozesses hatte die Staatsanwaltschaft keine Beweise für die Schuld der Angeklagten an den erhobenen Vorwürfen vorlegen können. Diese Tatsache wurde in der Urteilsbegründung von einem der drei Richter anerkannt, der in einem abweichenden Votum für einen Freispruch durch das Gericht optierte, “weil es keine konkreten, sicheren und glaubwürdigen Beweise gibt, die ihre Schuld über jeden vernünftigen Zweifel hinaus beweisen würden”.
Hintergrundinformation
Im Januar 2021 hob das regionale Berufungsgericht in Istanbul die Freisprüche für Osman Kavala und acht weitere Personen auf, und das Verfahren wurde im Mai 2021 wieder aufgenommen. In der Zwischenzeit wurden auch die Freisprüche in einem anderen Fall im Zusammenhang mit den Gezi-Park-Protesten –dem Carsi-Prozess gegen 35 Fußballfans – im Berufungsverfahren aufgehoben. Im Sommer 2021 wurden die beiden Strafverfahren in einem rechtlich fragwürdigen Prozess zusammengelegt. Das zusammengelegte Verfahren gegen 52 Angeklagte begann im Oktober 2021. Im Februar 2022 fand kurz nach dem formellen Beginn des Vertragsverletzungsverfahrens wegen Nichtumsetzung des Kavala-Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vor dem Europarat eine vierte Anhörung statt, nach der die Fälle auf Antrag der zuständigen Staatsanwaltschaft wieder getrennt wurden. Die sechste und letzte Anhörung erfolgte am 25. April 2022.
Die politisch motivierte Strafverfolgung und die damit einhergehenden ungerechtfertigten Strafen sind beispielhaft dafür, wie umfassend und systematisch die Kontrolle der Exekutive und der politische Einfluss auf die Justiz in der Türkei geworden sind. Gerichte akzeptieren routinemäßig gefälschte Anklagen, um Personen und Gruppen, die die Regierung als politische Gegner_innen betrachtet, zu inhaftieren und zu verurteilen, ohne dass zwingende oder überhaupt irgendwelche Beweise für kriminelle Handlungen vorliegen. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit dem Putschversuch im Juli 2016.
Die Schuldsprüche vom April 2022 erfolgten ohne die Vorlage glaubwürdiger Beweise zur Untermauerung der gegen Osman Kavala und seine Mitangeklagten erhobenen Vorwürfe. Dies ist das jüngste deutliche Beispiel für den chronischen Mangel an Unabhängigkeit der türkischen Justiz. Der EGMR war im Dezember 2019 zu dem Urteil gekommen, dass die türkischen Behörden nicht nur gegen das Recht von Osman Kavala auf Freiheit und Sicherheit verstoßen haben, sondern auch die Absicht verfolgten, ihn zum Schweigen zu bringen und andere Menschenrechtsverteidiger_innen von der Ausübung ihrer legitimen Aktivitäten abzuhalten.
Trotz des Beschlusses des Ministerkomitees des Europarates vom Februar 2022, angesichts der Weigerung der Türkei, dem Urteil des EGMR nachzukommen und Osman Kavala unverzüglich freizulassen, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, hat die Türkei Osman Kavala zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt. Als Mitgliedstaat des Europarats ist die Türkei verpflichtet, die verbindlichen Urteile des EGMR zu implementieren. Die anhaltende Weigerung, das EGMR-Urteil umzusetzen, sollte ein Alarmsignal gesehen werden, dass sich die türkische Justiz nicht an internationale und europäische Standards für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit hält.