Die türkische Justiz missachtete auch 2020 internationale Standards für faire Gerichtsverfahren und nutzte weit gefasste Antiterrorgesetze, um Handlungen zu bestrafen, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt sind. Mehrere Richter_innen und Anwält_innen wurden sanktioniert, obwohl sie lediglich ihre legitimen beruflichen Pflichten ausübten. Wie in den Vorjahren schikanierten die Justizbehörden zahlreiche Journalist_innen, Politiker_innen, Aktivist_innen, Nutzer_innen sozialer Medien und Menschenrechtsverteidiger_innen wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen oppositionellen Haltung. Der Amnesty-Ehrenvorsitzende Taner Kılıç und drei weitere Menschenrechtsverteidiger_innen wurden im sogenannten Büyükada-Prozess schuldig gesprochen. Der Kulturförderer Osman Kavala blieb in Haft, obwohl er im sogenannten Gezi-Prozess freigesprochen wurde und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seine sofortige Freilassung angeordnet hatte. Präsident Recep Tayyip Erdoğan und mehrere Regierungsmitglieder bekräftigten homofeindlichen Aussagen eines hochrangigen Staatsbeamten. Die Regierungspartei drohte mit einem Austritt aus dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention). Gesetzliche Änderungen, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie eingeführt wurden, schlossen die vorzeitige Haftentlassung von Personen aus, die auf der Grundlage von Antiterrorgesetzen ungerechtfertigt verurteilt worden waren oder in Untersuchungshaft saßen. Es gab erneut glaubwürdige Berichte über Folter und andere Misshandlungen.